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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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auch sterben, vielleicht auf eine noch schrecklichere Weise als ihr.«
    »Cesya, wer wird kommen?«
    Die Inderin schüttelte den Kopf und begann wieder auf und ab zu laufen. Ihre sanfte Stimme erhob sich zu einem Geheul. Sera drückte sich erschaudernd in eine Ecke und presste die Hände auf die Ohren.
    »Wer?«, wiederholte Roxane. »Wann?«
    »Die Chapatties«, flüsterte Cesya. Das Weiße um ihre dunklen Pupillen herum leuchtete. Soweit Roxane wusste, waren Chapatties Fladen aus ungesäuertem Brot.
    »Die Chapatties wurden herumgereicht. Sie … sie trugen das Zeichen …« Ihre Stimme erhob sich wieder zu einem einzigen hohen, wehklagenden Ton. In der Ecke begann Sera wieder zu weinen.
    Roxane packte Cesya am Arm, schwang sie zu sich herum und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.
    Entweder Cesya oder Sera stieß einen keuchenden Laut aus, dann folgte Schweigen. Einen Moment lang begann Cesya wieder schwer zu atmen, aber sie blieb relativ ruhig.
    »Cesya«, begann Roxane. »Im Augenblick interessiert es mich nicht, welches Zeichen du gesehen haben willst und als deinen unmittelbaren Untergang deutest. Aber du erschreckst Sera halb zu Tode. Ich schlage vor, dass ihr heute Abend beide in das Haupthaus kommt und dort bleibt. Dort werdet ihr sicher sein …«
    »Nein!«
    Roxane riss bei diesem vehementen Protest überrascht die Augen auf.
    »Doch«, erwiderte sie.
    »Ich werde nicht in dieses Haus kommen. Ich kann nicht, ich kann nicht«, stieß Cesya hervor und drehte sich um. »Ich werde … ich werde zu meiner Familie gehen. Sie dürfen zwar keine Mahlzeit mehr mit mir teilen, aber sie werden mich verstecken. Und du … du wirst Sera mitnehmen! Nimm sie mit in dein Haus, wenn es das ist, was du willst!« Sie packte das kleine Mädchen an den Schultern und schob es in Roxanes Richtung. Roxane drückte ihre Halbschwester an ihren Rock.
    »Warum erlaubst du mir, deine Tochter mitzunehmen, wenn du das Haus nicht für sicher hältst?«, fragte sie ruhig.
    Cesya fuhr fort, als hätte sie sie nicht gehört. »Ich werde morgen früh gehen. Morgen früh!« Sie riss mit beiden Händen an ihren schwarzen Haaren.
    »Vielleicht solltest du das mit Colonel Max besprechen«, schlug Roxane vor.
    »Wozu?«, kreischte die Frau und drehte sich wie ein Derwisch im Kreis. »Er hat mir das angetan!«
    Roxane nahm Sera auf den Arm, verließ mit ihr die Hütte und zog die Tür hinter sich zu. Im Gegensatz zu den meisten anderen Hütten auf dem Gelände besaß Cesyas Häuschen eine Tür mit einem Riegel. Roxane hörte, wie dieser ruckartig vorgeschoben wurde, als sie den Pfad entlangeilte. Sie strich über Seras feines, fliegendes Haar und sprach beruhigend auf das weinende Mädchen ein.
    Roxane bestand darauf, dass Sera ein lauwarmes Bad nahm und sich einen Schlafanzug anzog. Die Kleidungsstücke des Mädchens befanden sich in einer Kommode in einem kleinen Zimmer neben Roxanes. Sera bekam ihr Abendessen auf einem Tablett gebracht und verzehrte es schweigend, während Roxane am Fenster stand und auf Cesyas Tür starrte. Sie blieb verschlossen.
    Nachdem Sera eingeschlafen war, erzählte Roxane ihrem Vater von der Auseinandersetzung. Der Colonel erklärte sich einverstanden, mit der Frau zu sprechen, und kam schon nach kurzer Zeit schweigend zurück. Er verschwand in seinem Büro und schenkte sich einen doppelten Whiskey ein, den er in einem Schluck hinunterstürzte. Auch das zweite Glas leerte er in einem Zug.
    Roxane beobachtete ihn vom Türrahmen aus und verspürte die gleiche düstere Vorahnung, die sie auf dem Ball im Regierungsgebäude beschlichen hatte, als der Schatten der Motte so unerwartet groß und mächtig auf die Gäste gefallen war. Sie unterdrückte ein Frösteln und wandte sich ab.
    »Roxane?« – »Ja?«
    »Lass mir das Abendessen bitte hierher bringen. Ich muss noch einige Unterlagen durchsehen.«
    Roxane aß an diesem Abend allein; nur die Bediensteten liefen ständig in ihrer Nähe hin und her, um ihr zu servieren. Irritiert von ihren Bemühungen, entließ sie sie und bat, in einer Stunde den Tisch abzuräumen. Sie zögerten, als würde sie diese Änderung der Routine verwirren. Nachdem Roxane gegessen hatte, legte sie sich einen leichten Schal um die Schultern und ging zum Pförtnerhaus, um sich zu vergewissern, dass das Tor sicher abgeschlossen war. Seit dem Tod des Nachtwächters hatten sich der Gärtner und der Stallbursche diese Pflicht geteilt, doch beide hielten sich zu einem kurzen Besuch bei ihren

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