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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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Büro hörte sie Stimmen und blieb stehen. Ungeniert lauschte sie, als zwei Männer von einem Vorfall berichteten, der sich vor einigen Tagen bei einer Abendparade der 2. Native Infantry in Barrackpur ereignet hatte.
    Anscheinend hatten die Sepoys gegen eine neue Patrone für das Enfield-Gewehr protestiert. Sie behaupteten, dass, selbst wenn sie dafür ihr eigenes Fett verwenden dürften, sich das Papier der Patronenhülsen suspekt anfühle. Einer der Männer erzählte, dass ein Untersuchungsgericht sich mit dieser Befehlsverweigerung befasst habe, er die Ergebnisse aber nicht kenne. Zwei Tage später habe jedoch ein Captain des 34. Infanterieregiments von einem seiner Sepoys erfahren, dass eine Verschwörung in Barrackpur im Gang sei. Einige Soldaten wollten sich gegen ihre Offiziere erheben und ihre Bungalows niederbrennen. Damit wollten sie dagegen protestieren, ihre Kasten aufgeben zu müssen, um Christen zu werden. Roxane verstand die gemurmelte Antwort ihres Vaters nicht, aber einer der Männer lachte bellend.
    Roxane erinnerte sich an Collier Harrisons Warnung und hatte das Gefühl, als ob das Blut in den Adern gefrieren würde. Sie klopfte einmal an den Türrahmen, schob den roten Vorhang zur Seite und betrat das Büro.
    »Roxane! Meine Herren, das ist meine Tochter. Sie ist nach langer Trennung aus ihrer Heimat England zu mir gekommen.«
    Roxane nickte. Den einen Offizier kannte sie, aber der andere war ihr fremd.
    »Ist es wahr?«, wollte sie wissen. Die Männer tauschten verwunderte Blicke, bevor sie sich ihr wieder zuwandten.
    »Verzeihung?«, fragte der rothaarige Lieutenant Witmon.
    »Ist es wahr? Sind die Patronen mit Schweineschmalz und Rindertalg imprägniert?«
    »Roxane«, mischte sich ihr Vater ein. »Wo hast du das denn gehört?«
    »Stimmt es?« Roxane ließ nicht locker.
    »Nein«, antwortete der Lieutenant, der sich in seinem Stuhl herumgedreht hatte und sie mit neu erwachtem Interesse musterte.
    »Aber die Männer glauben, dass es sich so verhält.«
    »Einige schon«, räumte der Offizier ein.
    »Ein … ein Bekannter von mir hat mich einmal gewarnt, dass es einen Aufstand in ganz Indien geben würde, falls ein gewichtiger Grund zur Vereinigung aller Sepoys führen würde. Und das könnte ein solcher Grund sein, nicht wahr?«
    »Unsinn«, widersprach Max.
    »Möglicherweise«, meinte der Lieutenant. Der andere Offizier schwieg und betrachtete Roxane mit zusammengekniffenen Augen, als sei sie ein Ärgernis, mit dem er irgendwie fertigwerden müsste.
    »Meine Güte.« Max Sheffield lachte. »Meine Tochter ist wahrscheinlich eine der wenigen Frauen unter Victorias Regentschaft, die es wagt, in das Heiligtum eines Mannes einzudringen und ihm und seinen Gästen ihre Meinung über Dinge kundzutun, die sie eigentlich nicht beschäftigen sollten.«
    Roxane richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und hob das Kinn. »Die Möglichkeit, dass Menschen, die mir am Herzen liegen, getötet werden könnten, ist eine Sache, die mich durchaus beschäftigt, Vater«, erklärte sie tonlos.
    Max rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Roxane, ich wollte damit nicht andeuten … Selbst wenn so etwas passieren sollte, dann würde es sich nur um vereinzelte Aufstände handeln, die sofort niedergeschlagen werden würden. Frauen und Kinder wären dabei nicht in Gefahr.«
    »Ich denke dabei nicht nur an Frauen und Kinder«, erklärte sie und verließ den Raum. Lieutenant Witmon rief ihr hinterher, aber sie reagierte nicht darauf. Sie ging zu dem kleinen Häuschen, in dem Cesya und Sera wohnten, und klopfte an die Tür. Sera öffnete; ihr Augen waren rot und geschwollen.
    »Was ist los?«
    Sera schüttelte den Kopf. »Meine Mutter – sie hat große Angst.«
    »Wovor?«, wollte Roxane wissen. Ihre Haut schien mit einem Mal auf jede Veränderung zu reagieren, so als wäre Angst eine ansteckende, durch die Luft schwebende Krankheit.
    »Das sagt sie nicht.«
    »Lass mich herein, Sera.«
    Cesya lief in der Mitte des Raums im Kreis herum, raufte sich die Haare und schluchzte so schnell und erstickt auf Hindustani, dass Roxane kein Wort verstand. Roxane packte die kleine Frau am Arm, und Cesya wirbelte zu ihr herum. Die Farbe ihres schimmernden Saris erinnerte im Kerzenlicht an Blut. Ihre mit Kajal umrandeten Augen weiteten sich. Sie trat einen Schritt zurück und umklammerte dabei das Kruzifix an ihrem Hals.
    »Cesya …«
    »Sie werden kommen«, sagte sie auf Englisch. »Wir, die wir euren Glauben angenommen haben, werden

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