Palast der Stürme
Handgelenk und zog sie zu sich heran. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, so laut, dass die Dienerschaft oder ihr Vater aufwachen würden, doch er legte ihr rasch eine Hand über Mund und Kinn, während er ihr mit der anderen den Arm auf den Rücken drehte und sie fest an sich zog. Sie wehrte sich mit Leibeskräften, und er bewegte sich mit ihr immer in die gleiche Richtung, sodass sie kaum Schmerzen empfand. Trotzdem rang sie schon bald erschöpft nach Luft und drückte sich an seine breite, mit rauem Stoff bekleidete Brust.
»Roxane«, sagte der Paschtune. Er ist mir vom Basar hierher gefolgt, dachte sie entsetzt. Er hat an den Fenstern gelauscht, er kennt meinen Namen. Und dann hörte sie abrupt zu kämpfen auf. Er lockerte seinen Griff und hob seine Hand langsam und vorsichtig von ihrem Mund, bis er sich sicher war, dass sie nicht mehr schreien würde.
»Roxane«, wiederholte er, und jetzt erkannte sie seine Stimme, die Stimme, die sie tief in ihrem Herzen so gut kannte wie keine andere.
»Gütiger Gott«, wisperte sie. Plötzlich wurde ihr schwindlig und sie sank neben Colliers Füßen auf die Knie.
12
Collier bückte sich, hob Roxane auf und trug sie wie ein Kind in seinen Armen zur Hütte zurück. Das schwere Schwert scheuerte an seinem Bein. Roxane hatte ihr Gesicht an seinem Hals vergraben, und ihr Haar unter seinem Kinn war weich und duftend. An der Tür blieb er stehen.
»Können wir hineingehen?«, flüsterte er. »Ist die Hütte leer?«
Als er sie nicken spürte, ging er leicht in die Knie und schob mit einer Hand den Riegel zurück. Dann stieß er die Tür mit dem Fuß auf. In der dunklen Hütte blieb er unsicher stehen und atmete den starken Geruch nach Patschuli ein, der noch in der Luft hing. Auch Roxanes zarten Duft nach Lavendel nahm er wahr. Er hielt sie immer noch fest an sich gedrückt und spürte ihren rasenden Herzschlag an ihrer Wirbelsäule. In diesem dunklen Raum war er sich plötzlich einiger Dinge bewusst, die ihm draußen nicht aufgefallen waren. Unter ihrem Nachthemd trug sie nichts außer ihrer zarten, warmen Haut; während ihres kurzen Kampfs im Garten war der Stoff zerrissen, und als er sie hochgehoben hatte, war seine Hand durch den Riss zwischen ihre Beine und nach oben zu der Stelle geglitten, wo sich ihre nackte Hüfte wölbte. Ihr Haar hing offen über seinen Arm. Was auch immer sie in dem Garten getrieben hatte, musste sie so überrascht haben, dass sie direkt aus dem Bett gesprungen war.
»Lass mich runter«, bat sie ruhig.
Er folgte ihrer Bitte und befreite sich aus ihrem Nachthemd, in dem er sich verfangen hatte. Der Schal glitt ihr von den Schultern und fiel auf sein Armgelenk. Rasch streifte er ihn ab. In der Hütte war es sehr warm. Schweißtropfen liefen ihm über die Stirn, als er die Kopfbedeckung herunterriss, die einen Großteil seines Gesichts bedeckte.
»Roxane«, murmelte er. Er blieb in ihrer Nähe stehen, aber nicht nahe genug, um sie berühren zu können. »Ich möchte mich gern setzen.«
Schweigend huschte sie an ihm vorbei und schloss die Tür. Der Riegel rastete ein.
»Dort steht ein Bett«, sagte sie. »Zu deiner Rechten. Setz dich, wenn du möchtest, aber achte auf die Kleider, die dort liegen.«
Er tastete nach seinem Tulwar, nahm ihn von der Hüfte und legte ihn zur Seite, damit niemand verletzt werden konnte. Die Pistole nahm er ebenfalls ab. Dann folgte er langsam Roxanes Anweisung, bis er mit dem Schienbein gegen das Bettgestell aus Holz und Stricken stieß. Er schob die Kleider beiseite, die sie erwähnt hatte, und setzte sich. Roxane blieb irgendwo auf dem Teppich, außerhalb seiner Reichweite und Sicht. Er hörte ganz leise ihr Atmen und das Rascheln ihres Nachthemds.
»Warum bist du so gekleidet?«
Collier lächelte. Roxane, wie immer praktisch denkend, stellte nicht die Frage, die ihr wahrscheinlich am meisten zu schaffen machte, sondern erkundigte sich nach dem, was nach Gründen der Logik zuerst beantwortet werden musste. Ausflüchte gab es zwischen ihnen nicht, und hatte es auch nie gegeben.
»Geheimdienst«, antwortete er. »Ich arbeite für zwei Seiten, Roxane. Außer dass ich in der bengalischen Armee diene, arbeite ich auch noch für Lord Canning. Ich war in den letzten Monaten aus verschiedenen Gründen in dieser Gegend und habe die Gelegenheit genützt, um mich zu vergewissern, dass es dir gut geht.«
Wie sie diese Information aufnahm, konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen. Er blieb trotz der Schmerzen zwischen
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