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Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Timmermans
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dem Gang der Jagd. Er sah Schafe grasen, die Sonne schien rot durch die dünnen Ohren und streichelte die dicke Wolle wie mit Fingern. Am Rand des Bächleins saß der bucklige Hirt und spielte Karten mit sich allein, ganz allein, wie’s die Kinder machen. Der arme Kerl!
    »So gewinnst du immer,« sagte Pallieter, »probiers einmal gegen mich!« Pallieter setzte sich ins Gras, nahm die schmutzigen, zerknüllten Karten auf, mischte und gab aus. Da waren sie nun am Spielen, am Sechsundsechzig, und sie fluchten, sakermenterten und schrieen, als ob die ganze Welt davon abhinge. — Das dauerte so seine zwei geschlagenen Stunden lang, bis die Sonne unterging, und zwischendurch tranken sie von dem Branntwein, den der Hirt in einem Blechkrug in der Tasche trug.
    Der Hirt hinkte weg, mit seinen guten Schafen, und die Sonne steckte den Westen in Feuer und Flamme, zerbröckelte rotes und gelbes Gold über blaue und purpurrote Wolken, umfaßte die ganze Welt mit ihrem glorreichen Glanz, und die noch stehenden Wasserpfützen auf dem Weg glühten wie Stücke Sonne.
    Pallieter zog über Feldwege nach Hause und betrachtete gerührt ein junges Bauernpaar, das sich flüsternd über eine weiße Kuh beugte, die späten Klee rupfte. Die Sonnenluft umhüllte sie mit feinem Orangegold, und eine Schwalbe schoß zwitschernd über ihre Häupter.
    Pallieter ging noch in eine Schenke, in der Bauern und Fuhrleute Karten spielten.
    »Hallo!« rief man durcheinander ihm von allen Seiten zu, »du wirst ‘n Schloß dabei verdienen! Jetzt wirst du so reich, wie die See tief is! Spendier ein Fäßchen Bier darauf! Das bringt es schon ein!«
    Pallieter erschrak, sah sich erstaunt um: »Was soll denn das bedeuten!?«
    »Ja, weißt du’s denn noch nicht!?« riefen sie von allen Seiten und erzählten ihm, daß eine Eisenbahn über die Nethe gebaut, daß diese kanalisiert werden sollte und sein Garten ganz dazu gebraucht würde. Weiter sollte noch ein Fort dazukommen und ein neuer Friedhof. Die Beine zitterten ihm.
    »Bums! Nun ist es zum Teufel!« fluchte Pallieter, daß es donnerte. »Leb wohl, du schönes Land!.. Aber in so einem Land bleib ich nich wohnen! Dann ziehn wir weg! Dann machen wirs wie die Vögel! Die Welt is groß genug!« Und er dachte wieder an die Kraniche, die er an seinem Hochzeitstag nach dem Süden hatte ziehen sehen und die zum ersten Mal in ihm den Gedanken geweckt hatten, überall und nirgends wohnen zu wollen.
    »Ausgezeichnet!« jauchzte er, trank seinen Schoppen aus, schlug den Doppelsack wieder über die Schulter und ging schnell nach Haus, um es seinem allerliebsten Mariechen zu erzählen.
    Der Abend war gekommen, der Osten war geschlossen, und im Westen zögerte noch ein mattgoldener Streifen. Der Nebel stieg aus dem Boden. Der Geruch von dürren Blättern lebte auf, und es lag eine gemütvolle Stille über dem Land. Nur das graugelbe Laub raschelte, knisterte und rauschte unter und über Pallieters Füßen. Eine Kuh brüllte nach dem Stall, ein Blatt fiel auf Pallieters Hand, und in dem dunkeln Beginenwald klang noch wehmütig und langsam ein einsames Jägerhorn.
    Pallieter überlief es kalt bis in die Haare, Tränen traten ihm in die Augen, und er fühlte mit einem Mal den Winter durch das Land zittern und durch sein Herz.
    Zu Haus wurde mit Mariechen im Bett darüber gesprochen, die froh darum war; und es wurde, nachdem alles erwogen war, beschlossen, daß sie im Frühling, wenns wieder grün wird, zusammen in einem Kirmeswagen in die weite Welt hinausziehen wollten.

 
     
     

Ein grauer, nasser Tag
     
    D urch den dicken, grauen Nebel, der den Anblick der Welt verschloß, fiel ein Staubregen, fein und frostig.
    Die Bäume schimmerten grün wie Frösche. Alles war naß. Wer hinauskam, wurde naß bis in die Lunge.
    Die Nässe kroch ins Haus, beschlug die Fensterscheiben und machte die Wände klamm. Die Fliesen schwitzten, und das Salz war naß. Die Türklinken waren naß, das Örtchen war naß, alles war naß bis in die Seele.
    Und durch den Nebel gurrte aus einem schwarzen Baum eine einsame Turteltaube...
    Das Leben hatte seinen letzten Seufzer ausgehaucht, und alles war verlassen und kaputt.
    Die Bäume waren splitternackt und erbärmlich anzusehen mit ihren verwirrten, sich windenden Ästen. Der tolle, böse, wilde Wind hatte all ihre Blätter abgerissen, sie in die Luft zerstreut, daß manche hochflogen wie Vögel; andere trieben zu Tausenden hintereinander über die Wege, gelangten irgendwo in eine Ecke, in ein

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