Pallieter
Liebe immer stärker, die die Sinne betäubt und die Kräfte erlahmt, und sie vergaßen all den Überfluß von reiner Schönheit, um nur beieinander zu sein.
Sie verlangten gierig nacheinander, küßten sich um die Wette und konnten nicht nahe genug zusammensitzen.
Inzwischen fuhren sie weiter, und der frühe Abend zog rasch über den Himmel.
Gritzegrau wurde die Gegend, der Wind fiel aus den Segeln, und es kam eine Stille.
Sie erkannten die Landschaft nicht mehr, und in der Ferne wurde ein Lichtchen angezündet.
Aber sie dachten nicht an Aufstehn.
In der Stille legte sich der Abendnebel wie ein Schleier über die Felder und wurde zusehends dichter.
Sie stießen irgendwo ans Ufer, und das Schiff blieb stecken. Da stand Pallieter auf, Mariechen seufzte, und schweigend band Pallieter das Schiff an einer Weide fest. Nun war schon hier und da ein Lichtchen. — »Komm, jetzt gehen wir hinunter«, sagte er.
Auch hier wurde die Lampe angezündet, und als Mariechen all den Reichtum von schönen Früchten sah und das weiße Bett, das Pallieter aufdeckte, da stieg ihr auf einmal das Blut ins Gesicht, ihr Herz klopfte, und still und gelassen legte sie den Kopf an seine Brust.
Und da draußen leuchtete die offene Luke durch den Abend und den Nebel wie ein Zeichen von großem Frieden und Glück.
Was für ein Genuß wars, als sie morgens aufwachten in dem warmen Bett, mitten in dem Duft der Früchte, als sie durch das runde Fensterchen eine sonnenbeschienene Fläche daliegen sahen und moosbewachsene wellige Hügel drumherum. Sie umfaßten sich und fingen an, sich zu balgen wie zwei kleine Kinder.
Obst essend, kamen sie an Deck, und hei, welches Vergnügen! Wind und Sonne!
In der Nacht hatte es geregnet, und nun war alles noch einmal so frisch und so neu.
Ein breiter, lauer Wind rollte mächtig über die Welt, die Nebel waren weggefegt, und die Sonne schien warm, verjüngt und neu durch die milchweißen, schnellen Wolken hindurch auf die grüne Erde.
Das Schiff fuhr nun mit schlohweißen, offenen Segeln, die der Wind aufblähte wie Bäuche.
Es jagte dahin über das silberne, runzelige Wasser, das Holz krachte, und der rote Wimpel flatterte. Lubas bellte, aber sein Gebell zerstob wie Sand. Keine Stimme hatte Bestand. Der Rauch fiel an den Schornsteinen der einsamen Häuser hinunter, und eine weiße Mühle drehte auf einem Hügel eifrig ihre Flügel.
Mariechens Röcke wurden zwischen und gegen ihre stämmigen Beine gepreßt und gespannt, daß man deutlich ihre schönen Formen sah. Pallieters Pfeifenrauch verwehte im Wind.
Es war ein Hochgenuß, so dahinsegeln zu können! Und beide blieben aufrecht stehen, um den Druck des guten Windes überall zu spüren. Und so fuhren sie stets weiter und weiter auf der schönen Nethe, die sich über das Land erhob.
»Oh, Mariechen!« rief Pallieter, und er nahm seine liebe Frau in den Arm und sah ihr in die großen, frohen, fragenden Augen. »Du hast mein Leben noch einmal so groß und schön gemacht! Wie soll ich es Gott danken!«
Sie schwieg, da rief er: »Wir wollen seine Früchte essen!« Und er preßte mit beiden Händen eine große Traube in ihren offenen Mund.
Hörnerschall
B reit, mächtig und beständig war der Herbstwind tagelang über die Erde gebraust, Nebel und Regenschauer mitjagend in seiner großen Kraft.
Tage hintereinander blieben die Häupter der Bäume gebogen, die Blätter umgeschlagen und das Gras platt am Boden. Dann kam der Nebel, und die Blätter verfaulten, und die Kühe brüllten nach dem Stall.
Währenddessen feierten Pallieter und Mariechen in ihrem Haus ihr junges Liebesfest.
Aber jetzt war das Wetter wieder hell geworden, und die niedrigstehende Sonne ließ die herrlichen Fernen sehen. Türen und Fenster auf!
O Gott! nun hatte die Welt ihr Angesicht ganz verändert! Das mächtige Grün, das so viele Monate hindurch die Bäume gekleidet hatte, war nun gelb, braun und rot geworden!
Und aus dem Moos, dem Himmel, dem Feld, den Bächen und dem Schilf, aus dem Großen und dem Kleinen stieg eine heilige Ruhe, ein reiner, stiller und tiefer Ernst.
Die Blätter fielen, der Winter fröstelte schon am Horizont. Es war aus. Das Leben hatte alles gegeben, was es konnte. Es war müde und erschöpft und wollte nun ausruhen in der Erde und neue Kräfte sammeln für das nächste Jahr. Frösche, Fledermäuse, Vögel und Grillen, alles folgte ihrem Gesetz.
Es ist das Atemschöpfen der Welt. Allerhand neues Leben ist nun geboren und
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