Palzki 09 - Ahnenfluch
wozu jemand zwei so riesige Vorzimmer bräuchte. Auch damals wurde anscheinend zumindest in Herrscherkreisen das Status- und Prestigedenken höher als Rationalität beurteilt.
Die rot gehaltene Loge, die im unteren Bereich weiß getäfelt war, besaß zur Kapelle hin drei Sprossenfenster, wovon das mittlere leicht geöffnet war. Das Inventar war überschaubar und bestand aus zwei roten Stühlen nebst kleiner Kirchenbank sowie einer Glasvitrine mit seltsamem Zeug.
»Hier habe ich Frau Stadelbauer das letzte Mal gesehen. – Lebend«, fügte sie an, als wäre ihr Tod für sie längst beschlossene Sache. Den unterschwelligen Hinweis hatte ich dennoch verstanden.
»Und wann haben Sie sie tot gesehen?«
Verdattert stierte sie mich an. »Ab… , a… aber, so habe ich das nicht gemeint«, rechtfertigte sie sich. »Ich hoffe doch sehr, dass sie noch lebt.«
Oberflächlich gesehen barg der etwas verwinkelte Raum keine offensichtlichen Geheimnisse. Es war schließlich keine Geheimloge. Dennoch fiel mir etwas auf. Bereits als Schüler las ich in meinen ersten kriminalistischen Lehrbüchern, die Autorin hieß Enid Blyton, dass seltsam zugeschnittene Räume oftmals Heimlichkeiten verbargen. So auch hier: Die hintere linke Ecke der Loge fehlte, eine Wand trennte einen sicherlich neun Quadratmeter großen Bereich ab. Bereits mein erster Faustschlag war ein Treffer. Direkt neben der in der Wand eingelassenen Vitrine klopfte ich auf die Mauer: Es klang hohl.
»Was machen Sie da?« Frau Bayer hatte sich heftigst erschrocken. »Bitte nichts anfassen.«
Ich klopfte erneut auf die Wand, mit Anfassen hatte dies nur indirekt zu tun. »Was ist dahinter?«
»Woher wissen Sie das?«, staunte sie. »Das ist ja unglaublich.«
»Polizisten wissen alles«, entgegnete ich und stellte mich in Positur. »Geheimräume entdecken liegt jedem Polizeibeamten im Blut. Also, was befindet sich hinter dieser Wand?«
Sie brachte ein kleines Schmunzeln zutage. »Jedenfalls kein Geheimraum, Herr Palzki. Haben Sie in der Kapelle die Glasscheibe in der Wand neben dem Eingang gesehen, direkt hier unter uns?«
Mir blieb nicht anderes übrig, als den Kopf zu schütteln, alles andere könnte schnell peinlich werden.
»Dann will ich Ihnen die Sache erklären«, begann sie. »Die Kapelle und das komplette Nebengebäude wurden erst nachträglich an das Schloss angebaut. Da die Flucht zur Schlossvorderseite leicht versetzt ist, hat man vor die ursprüngliche Mauer eine zweite gesetzt, damit die Flucht einheitlich wirkt. Wir haben die Sache übrigens erst vor wenigen Jahren entdeckt. Aber es ist nur ein Spalt zwischen den beiden Mauern, nichts Spektakuläres. In der Kapelle haben wir die Lücke zwischen den beiden Mauern freigelegt und mit einer Glasscheibe verkleidet. Wenn Sie wollen, können Sie sich das später unten anschauen.«
Nachdem die Sache geklärt war, hatte sie auch bereits ihren Reiz verloren. Hätte man mich nur schon als Kind hier reingelassen, die doppelte Mauer wäre viel früher entdeckt worden.
»Was wollen Sie jetzt sehen, Herr Palzki?«
»Das dritte Obergeschoss. Hier scheinen die vier nicht zu sein. Ach ja, vielleicht zeigen Sie mir noch kurz den Kamin mit den Papierresten.«
»Das Zeug wurde bereits gestern entfernt und alles sauber gemacht«, erklärte sie mir.
Na prima, diese Spur war also verwischt.
Frau Bayer ging voraus in Richtung zweites Vorzimmer. Stumm zeigte sie auf den Kamin. Er war alt, mehr konnte ich nicht sehen. Dafür hörten wir Stimmen.
»Oh, da kommt gerade eine Führung. Vielleicht sollten wir aus dem Weg gehen.«
Sie trat zur Seite und ich tat es ihr nach. Ein Führer, der ebenfalls historische Klamotten trug, kam herein und etwa 20 Personen folgten ihm. Dass sich unter diesen Personen auch Dietmar Becker befand, wunderte mich fast nicht. Dennoch stierten wir uns zunächst eine Zeit lang gegenseitig an.
Kapitel 18: Ein wertvoller Fund
Frau Bayer fiel unser seltsames Verhalten natürlich auf. »Kennen Sie den Mann? Mir kommt er irgendwie bekannt vor«, flüsterte sie mir zu, während ihr Kollege über das Vorzimmer referierte.
»Ja, leider«, flüsterte ich zurück.
Wir warteten, bis sich die Gruppe in das nächste Zimmer verzogen hatte. Ich schätzte, dass dort ein drittes Vorzimmer auf sie wartete. Der Student ließ sich ans Ende der Gruppe zurückfallen und kam dann unauffällig auf uns zu.
»Hallo, Herr Palzki«, meinte er verlegen und wandte sich an meine Begleiterin. »Mein Name ist Dietmar Becker,
Weitere Kostenlose Bücher