Pampelmusenduft (St. Elwine) (German Edition)
den Händen. Für einen siebzehnjährigen Jungen, der bisher lediglich die Schulbank gedrückt hatte, eine Aufgabe, die er kaum bewältigen konnte. Zumal er zum Frühstück nur einen Becher Joghurt gegessen hatte. Die Sonne brannte erbarmungslos. Die Häftlinge standen Seite an Seite. Eine bunte Horde bestehend aus sieben Völkergruppen: Weiße, Schwarze, Mexikaner, Kolumbianer, Indianer, Kubaner und Puerto Ricaner. Ihre spezifische Mentalität führte oftmals zu Spannungen, bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Tyler versuchte sich möglichst aus allem raus zu halten.
Am ersten Tag sehnte er den Feierabend mehr als herbei. Er hatte zu wenig getrunken und gegessen und sein Kreislauf spielte verrückt. Nach der Hauptzählung um 4 Uhr hatte er Freizeit. Er stellte sich zunächst unter die kalte Dusche, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Dann machte er sich auf den Weg zum Educationcenter, das die Musikräume beherbergte. Sie übten eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Natürlich waren alle Plätze besetzt. Es schien sogar eine Art Band zu existieren. Also stand Tyler einfach nur reglos in einer Ecke und beobachtete alles interessiert. Er brauchte ganze drei Monate dafür, um j e manden anzusprechen. Es gab tatsächlich eine Band und die Trustys in Camp F hatten eine eigene. Sie trugen die salbungsvollen Namen „Stacheldrah t band“ und „Angola Rodeo Band“.
In der Bibliothek traf Tyler auf Archie, der dort für ein paar Stunden am Tag arbeitete.
„Was liest du denn gern“, wollte der alte Mann wissen.
„Alles, was ich zwischen die Finger bekomme.“
„Dachte mir schon, dass du ein schlaues Bürschlein bist. Hier!“ Archie reichte Tyler ein Buch. „Mann, deine Hände sehen schlimm aus. Erinn e re mich heute Abend daran! Ich habe eine Salbe für dich.“
Der zweite Abend unterschied sich kaum von dem ersten, außer dass Tyler nicht weinen musste. Jedoch konnte er weder essen noch schlafen. Am frühen Morgen ging es wieder hinaus auf die Felder. Die Schwarzen begannen ihre Lieder zu singen. Es waren meist Spirituells und Tyler fühlte sich in die Zeit der Sklaverei, vor 200 Jahren, versetzt. Nur, dass er einer der Sklaven war. Die Lieder gefielen ihm trotzdem. Im Verlauf der folgenden Wochen, Monate und Jahre, ler n te er sie alle auswendig.
Tyler versuchte sich einzureden wenn er sich nur fest darauf konzentrierte, fiel ihm die körperliche Anstrengung nicht so schwer. Nach der dritten schlaflosen Nacht, brach er am Mittag des darauf folgenden T a ges auf dem Feld zusammen. Er kam auf die Krankenstation. Das Pers o nal dort war nicht besonders freundlich. Die mürrische Krankenschw e ster stach eine Flexüle in seinen Handrücken und hing eine Infusion an. Sein Blutdruck normalisierte sich wieder, aber essen konnte er immer noch kaum etwas. Anscheinend glaubte der diensthabende Arzt, Tyler würde mit Absicht die Nahrungsaufnahme verweigern. Er ordnete eine Magensonde an. Die Schwester stellte das Kopfteil des Bettes hoch und hielt Tylers Gesicht fixiert. Ohne vorher eine Erklärung abzugeben, führte der Arzt den Plastikschlauch tief in seine Nase ein und forderte ihn dann auf zu schlucken. Tyler begann zu husten, so dass der Arzt die Sonde ein wenig zurückzog, um dann wieder vorzustoßen. „Schlucken!“, brüllte er dabei. Eine weitere Schwester drückte ein Glas Wasser gegen Tylers Lippen, so dass er zwangsweise zum Schlucken animiert wurde. Tyler geriet in Panik und schlug um sich. Die Krankenschwestern hielten ihren zappelnden Patienten fest, während der Arzt den Schlauch 50-60 cm tief einführte, dann dessen Lage kontrollierte und mit einem Pflaster auf dem Nasenrücken fixierte. Ein dünner Blutstrom rann aus Tylers N a se, als Archie ihn kurz darauf besuchte. „Was machst du denn für S a chen?“
Die Augen des Jungen schwammen in Tränen. Archie wischte ihm fürsorglich das Blut ab und versprach, morgen wieder zu kommen. Tyler solle sich unterdessen um Himmelswillen ausruhen. Doch das war nicht so einfach, denn er war vollkommen übermüdet.
Trudy Rowland schaute kurz herein und schien wichtige Papiere zu suchen. Tyler wurde allerdings das Gefühl nicht los, dass sie nur wegen ihm gekommen war. Was natürlich lächerlich anmutete. „Carmichael, in Zukunft essen Sie vernünftig, ob es Ihnen nun schmeckt oder nicht!“, sagte sie barsch, tätschelte dabei jedoch ganz kurz seine Wange. „Kannst du immer noch nicht schlafen?“, flüsterte sie plöt z lich.
Tyler schüttelte
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