Pampelmusenduft (St. Elwine) (German Edition)
„Ich dachte, das wüsstest du längst: Mord.“
Vor Verblüffung blieb Archie der Mund offen stehen und dann ließ er sein wieherndes Lachen hören. „Und ich hab gedacht, du bist ´n anständiger Ju n ge.“
„Ja, wie man sich doch irren kann.“
Das jährlich stattfindende Rodeo faszinierte Tyler. Essbuden und Stände wurden aufgebaut, gesponsert von den örtlichen Radiosendern. Zum Häftlingsrodeo wurden die Tore geöffnet und die Einwohner aus den umliegenden Gemeinden besuchten das öffentliche Großereignis. Die Gefängnisleitung nahm jedes Jahr im Schnitt eine Million Dollar dabei ein. Tyler erinnerte die Rodeoshow an einen modernen Kampf der Gladiatoren. Die Trustys ritten auf Bullen oder nahmen an Mutproben teil. Für Ruhm oder Eingeweide mussten sie die Kokaden von den Hörnern der Bullen ziehen. Der Spitzenreiter hatte das achtzehn Mal geschafft, doch dafür erhielt er drei Rippen- und einen Beinbruch gratis d a zu.
„Na, auch mal probieren?“, scherzte Archie.
„Nein, vielen Dank. Ich habe ohnehin keine Zeit für solchen Unsinn - mein Terminkalender ist voll.“
Diesmal klang das Lachen des alten Mannes wie das Knarzen rostiger Nägel in einer Blechdose.
Das erste Jahr in Angola hatte Tyler hinter sich gebracht. Abends stand er unter der Dusche, als irgendetwas vor sich zu gehen schien. Die Atmosphäre im Raum änderte sich von einer Minute zur nächsten. Gewalt lag in der Luft und Feindseligkeit. Der Übergriff auf Tyler begann ganz plötzlich. Zwei Hünen stellten ihm das Wasser ab. Als er die Augen öffnete, traf ihn ein Faustschlag in den Magen. Er sackte zusammen. Sie traten auf ihn ein, weiße Männer, Sympathisanten des Ku-Klux- Klan. „Niggerfreund!“ „Verräter!“ Andere Beschimpfungen drangen zu ihm durch. Er krümmte sich und versuchte so, die lebenswichtigen Organe zu schützen. Schon rissen sie ihn hoch und stellten ihn auf die Füße. Sie pressten ihn hart gegen die Wand. Seine Alarmglocken schrillten und die darauffolgende Panik verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Er war kein wehrl o ser Junge mehr und er setzte seine Muskelkraft ein. Die Männer hatten nicht mit dieser hartnäckigen Gegenattacke gerechnet. Tyler nutzte ihre kurze Verblüffung aus und riss die Mischbatterie aus der Wand. Nun hatte er eine nützliche Waffe.
„Ich krieg dich und dann vögle ich deinen Arsch durch, bis du keine Nigger mehr ansiehst.“ Die Männer umkreisten ihn als wären sie ein Rudel hungr i ger Wölfe.
Tyler schlug das Herz bis zum Hals.
Einer plötzlichen Ahnung folgend holte sich Trudy zwei Häftlinge und ging mit ihnen zum Duschraum. Sie wusste, sie durfte nicht hinein gehen, wenn sich Männer darin befanden, doch das war ihr jetzt egal. Mit den Häftlingen flankiert trat sie ein. Gerade als Tyler von einem schweren Tritt in den Unterleib getroffen wurde. Er sackte in sich zusammen. Trudy nahm ihre Trillerpfeife und stieß einen ohrenbetäubenden Pfiff aus. Sofort kamen weitere Wärter angerannt. Die beiden Hünen wurden abgeführt. Trudy schnappte sich unterdessen Tylers Handtuch und b e deckte ihn damit. „Brauchen Sie ärztliche Hilfe, Carmichael?“
Er schüttelte den Kopf.
„Dann marsch, anziehen und raus! Unruhestifter können wir hier nicht bra u chen. Für den Rest des Abends verhalten Sie sich ruhig!“
Tyler warf ihr einen raschen Blick zu. „Danke“, murmelte er leise.
Trudy nickte fast unmerklich und hob die Mischbatterie auf.
Beiden war bewusst, wovor sie ihn bewahrt hatte. Archie kam angeschlurft.
„Sorg dafür, dass er sicher ist!“, befahl sie ihm. „Deine Leute sollen auf ihn Acht geben!“, raunte Trudy ihm zu. Der Blick, den er ihr daraufhin zuwarf sprach Bände.
Tyler war fast zwanzig, als er eines Tages, wie üblich, seine ausgeliehenen Bücher zurück in die Bibliothek brachte. Er war noch etwas gewac h sen und jetzt fast 1,90 Meter groß.
Archie grinste ihn an. „Sind ´ne Menge Liebesromane dabei, hm.“
„Das verstehst du nicht, alter Mann“, konterte Tyler.
Archie lachte und zeigte dabei viel von seiner rosa Mundschleimhaut. „Du liest Schmuseromane, du hältst die Gitarre, als wäre sie deine Geliebte – ist nicht leicht hier als junger, potenter Mann, was?“
Tyler schnaubte nur verächtlich.
„Wie vielen Frauen hast du´s schon besorgt?“
Tyler tat, als würde er angestrengt an seinen Fingern abzählen. Doch sein Grinsen war plötzlich wie weg gewischt.
„Du bekommst deine Chance, glaub mir! Und dann wird es dich umha u en.“
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