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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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einmal mehr zu zeigen, daß der, der vor mir stand, nicht
nur ein dummer Feigling war, sondern auch noch ein niederträchtiger Kerl.
    »Zehn Schritte von hier gezählt
wirst du graben.«
    »Was werdet ihr nachher tun?«
    »Ich werde es dem Oheim sagen, und
er wird die Bilder verbrennen. Was könnten wir denn sonst tun? Wenn der
Gemeinde des Nusret Hodscha aus Erzurum ein solches Gerücht zu Ohren kommt,
dann bleibt weder von uns noch von der Malerwerkstatt etwas übrig. Kennst du
irgendeinen unter ihnen? Nimm jetzt das Geld an, damit wir sichergehen, daß du
uns nicht an sie verraten wirst.«
    »Worin befindet sich das Geld?«
    »Es sind fünfundsiebzig
venezianische Goldstücke in einem alten Tonkübel für saure Gurken.«
    Die venezianischen Dukaten waren
verständlich, aber wie war ich auf den Tonkübel für saure Gurken gekommen? So
blödsinnig es war, es klang überzeugend. Auf diese Weise erkannte ich einmal
mehr, daß Allah auf meiner Seite stand, denn mein von Jahr zu Jahr geldgieriger
werdender Freund hatte bereits eifrig begonnen, in der ihm von mir gewiesenen
Richtung die Schritte zu zählen.
    In diesem Augenblick gingen mir zwei
Dinge durch den Kopf. Keine Spur von venezianischem Gold unter der Erde! Der
niederträchtige Dummkopf würde uns ins Elend stürzen, wenn ich ihm kein Geld
geben könnte! So dachte ich kurz daran, den dummen Kerl wie manches Mal in den
Lehrjahren zu umarmen und zu küssen, aber die seitdem vergangene Zeit hatte
uns so weit voneinander entfernt! Dann beschäftigte mich die Frage, wie man
denn überhaupt graben sollte! Mit unseren Fingernägeln? All dies zu überlegen,
wenn man es überlegen nennen konnte, dauerte kaum einen Lidschlag.
    In Panik griff ich mit beiden Händen
nach dem Stein, der neben dem Brunnen lag. Mit aller Kraft schlug ich zu, traf
den Freund am Hinterkopf, während er noch den siebten, achten Schritt zählte.
Der Stein schlug so schnell und hart auf den Schädel auf, daß ich für einen
Augenblick glaubte, es sei mein eigener Kopf, und zurückschreckte, ja, es tat
mir sogar leid.
    Ehe ich jedoch über meine Tat Trauer
empfinden würde, wollte ich das Ganze so schnell wie möglich zu Ende bringen.
Denn er hatte auf dem Boden auf solche Weise herumzuzappeln begonnen, daß man
sich unwillkürlich noch viel mehr entsetzte.
    Erst lange nachdem ich ihn in den
Brunnen hinuntergeworfen hatte, konnte ich darüber nachdenken, daß meine Tat
einen recht groben Zug hatte, der nicht im geringsten der Feinfühligkeit eines
Illustrators entsprach.

5
  Ich bin euer Oheim
    Ich bin der Oheim Efendi Karas, aber auch andere
nennen mich so. Einst wünschte sich Karas Mutter, daß er mich mit Oheim
anredete, aber später wurde es nicht nur für ihn, sondern für alle zur Gewohnheit.
Vor dreißig Jahren, als wir uns nicht weit von Aksaray in jener dunklen,
feuchten Straße niedergelassen hatten, die von Kastanien und Linden
überschattet war, hatte Kara begonnen, bei uns ein und aus zu gehen. Nicht das
jetzige, das Haus davor war es gewesen. Wenn ich in der Sommerzeit mit Mahmut
Pascha ins Feld zog, dann traf ich bei meiner Rückkehr im Herbst Kara und seine
Mutter in unserem Hause an, wo sie Unterschlupf gesucht hatten. Seine selige
Mutter ist die ältere Schwester meiner seligen Frau gewesen. An manchen
Winterabenden fand ich, wenn ich heimkam, die beiden Schwestern in
tränenreicher Umarmung vor, wenn sie ihren Kummer miteinander teilten. Karas
Vater, ein Lehrer in kleinen, entlegenen Medresen, wo er nie längere Zeit zu
bleiben vermochte, war zornig, launenhaft und dem Trunk ergeben. Kara, damals
sechs Jahre alt, weinte mit der Mutter, verstummte mit der Mutter, und mich,
seinen Oheim, betrachtete er voller Furcht.
    Es macht mir Freude, ihn jetzt als
einen entschlossenen, reifen und respektvollen Neffen vor mir zu sehen. Die mir
erwiesene Ehrfurcht, seine aufmerksame Hingabe beim Handkuß, seine Bemerkung,
das mir als Geschenk überreichte mongolische Tintenfäßchen sei »nur für rote
Tinte bestimmt«, seine ordentliche Haltung, wie er mir gegenübersitzt, mit den
Knien dicht beieinander, all das beweist mir einmal mehr, daß nicht nur er der
kluge, erwachsene Mann geworden ist, der er sein wollte, sondern auch aus mir
der weise alte Mann geworden ist, der ich sein wollte.
    Er sieht seinem Vater ähnlich, dem
ich einige Male begegnet bin. Hochgewachsen, schlank, die Bewegung der Arme ein
wenig übertrieben, doch es steht ihm gut. Wie er die Hände auf die Knie legt,
sein

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