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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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bereitwilliger, voll auf mich gerichteter Blick, der mir, wenn ich etwas
Wichtiges erwähne, sagt: »Ich verstehe und höre achtsam zu«, und das Wiegen
seines Kopfes in einem geheimnisvollen Takt, der dem Rhythmus meiner Worte
entspricht – all das ist wohl angebracht. Nach einem so langen Leben weiß ich
nun, daß wirkliche Achtung nicht dem Herzen entspringt, sondern den kleinen
Regeln und dem Sichunterordnen.
    In jenen Jahren, als die Mutter
ihren Sohn unter dem Vorwand, sie sähe hier eine Zukunft für ihn, sehr häufig
in unser Haus brachte, ließ meine Entdeckung, daß er an Büchern Gefallen fand,
zwischen uns ein enges Band entstehen, und er wurde, wie man's allgemein im
Hause nannte, mein Schüler. Ich lehrte ihn, die Horizontlinie nach Art der
Buchmaler von Schiras bis hoch in den obersten Teil des Bildes zu ziehen, und
erklärte ihm diese neue Methode. Während alle anderen den seiner Leyla leidenschaftlich
ergebenen Mecnun verzweifelt allein in der Wüste malten, erklärte ich meinem
Neffen, wie es dem großen Meister Behzat gelang, den Helden noch einsamer zu
zeigen, weil er ihn inmitten einer Frauenmenge, die sich zwischen den Zelten
hin und her bewegt, sitzen und unter einem Eßgefäß die Glut entfachen läßt. Und
bei jener Szene, in der Hüsrev nachts die nackt im See badende Şirin beobachtet, machte ich
ihn auf die lächerlichen Farben aufmerksam, welche die meisten Buchmaler
gedankenlos für die Pferde und die Kleidung der Liebenden verwendet hatten,
weil sie die Dichtung des Nizami nicht kannten, und ich erklärte ihm, daß ein
Maler, der den Text, zu dem er Bilder malt, nicht gründlich und verständig
liest, weil ihm dieser vollkommen gleichgültig ist, aus keinem anderen Grund
als nur des Geldes wegen Stift und Pinsel zur Hand nimmt.
    Nun sehe ich mit Freuden, daß Kara
noch einen weiteren Grundsatz erkannt hat: Betrachte die Malerei, die Kunst,
nie als deinen Beruf, wenn du darin nicht enttäuscht werden möchtest. Wieviel
Talent und Geschick du auch besitzen magst, suche stets anderswo nach Geld und
Ansehen, damit du der Kunst nicht grollen mußt, falls man dir für dein Talent
und deine Mühe den gerechten Lohn versagt.
    Kara berichtete von der Armut und
Hoffnungslosigkeit der Meister der Buchmalerei und der Kalligraphie, die ihm
alle bekannt waren, denn er hatte sie Bücher anfertigen lassen für die Paschas
und die Reichen in Istanbul und in den Provinzen. Nicht nur in Täbris, auch in
Meschhed und Aleppo hätten viele Meister die Buchmalerei aufgegeben, weil es an
Geld und Nachfrage fehlte, und beschäftigten sich statt dessen mit einzelnen
Bilderbogen, mit der Darstellung von Absonderlichkeiten zur Belustigung fremder
Reisender und mit dem Zeichnen sittenloser Bilder. Ihm sei zu Ohren gekommen,
daß man jenes Werk, welches Schah Abbas unserem Padischah bei dem Friedenskuß
in Täbris als Geschenk überreicht hatte, schon jetzt auseinandergerissen und
damit begonnen habe, die Seiten für ein anderes Buch zu verwenden. Und Akbar,
der Moghul-Padischah, streue so viel Geld aus für ein neues großes Buch, daß
die besten Buchmaler von Täbris und Kazvin alles stehen- und liegenließen und
zu seinem Palast eilten.
    Während er mir all dies erzählt,
fügt er hin und wieder auf angenehme Art andere Geschehnisse ein, wie zum
Beispiel die recht unterhaltsame Geschichte von einem falschen Mehdi, oder er
beschreibt, wie der törichte Kronprinz, den die Safawiden den Usbeken als
Geisel zum Unterpfand des Friedens ausgeliefert hatten, innerhalb von drei
Tagen einem bösen Fieber erlegen ist, und welch eine Aufregung darüber auf
jener Seite entstand. Dann lächelt er mir zu. Doch an dem Schatten über seinen
Augen erkenne ich, daß die alte Angelegenheit, die uns beide ängstigt und über
die zu sprechen uns so schwer fällt, noch immer nicht beendet ist.
    Natürlich hatte sich auch Kara in Şeküre, meine schöne einzige
Tochter, verliebt, wie jeder junge Mann, der Zutritt hatte zu unserem Haus
oder wußte, was man über uns sprach, oder der, wenn auch nur von weitem, von
ihr gehört hatte. Vielleicht schien er mir damals keine Gefahr für meine schöne
Tochter zu sein, auf die ich mein Augenmerk richten mußte, waren doch alle in
sie verliebt, obwohl sie kaum einer zu Gesicht bekam. Doch die Liebe Karas,
der aus und ein ging im Haus, der liebevoll aufgenommen wurde und die
Möglichkeit besaß, Şeküre
zu sehen, war die verzehrende Leidenschaft eines Jünglings. Er konnte sie
nicht, wie ich

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