Pamuk, Orhan
Schmetterling und Storch ...
Was uns bei der Suche in dieser
Angelegenheit helfen sollte, das heißt, über das Talent, die Meisterschaft und
das Temperament eines jeden zu sprechen, betrifft jedoch nicht nur sie, sondern
auch mein eigenes Leben:
DIE EIGENSCHAFTEN VON OLIVE
Sein richtiger Name ist Velican; ob er
außer dem Necknamen, dem ich ihm verlieh, noch andere hat, weiß ich nicht, denn
ich sah nirgends eine Signatur von ihm. In seiner Lehrzeit holte er mich immer
dienstags von zu Hause ab. Er ist sehr stolz, und das bedeutet, er würde auch
wollen, falls er sich soweit erniedrigen könnte, etwas zu signieren, daß man es
offen erkennt, und die Signatur nicht verbergen. Allah hat ihn überreich mit
Talenten begabt. Alles fällt ihm leicht, vom Illuminieren bis zum Ziehen der
Randlinien, und seine Arbeit ist stets die beste. Er ist der vortrefflichste
Maler meiner Werkstatt, wenn es um die Abbildung von Bäumen, Tieren oder
menschlichen Gesichtern geht. Velicans Vater, der ihn wohl als Zwölfjährigen
nach Istanbul brachte, war von Siyavuş,
dem für seine Gesichter berühmten Illustrator aus der Werkstatt des safawidischen
Schahs von Täbris, geschult worden, und er entstammt einer langen Linie von
Altmeistern, deren Abkunft auf die Mongolen zurückgeht. Und wie die alten
Meister, die sich vor einhundertfünfzig Jahren in Samarkand, Buchara und Herat
niederließen und den mongolisch-chinesischen Einflüssen folgten, so zeichnet
auch er die jungen Liebenden mondgesichtig gleich den Chinesen. Weder in seiner
Lehrzeit noch in seinen Meisterjahren war ich imstande, diese fest
verschlossene harte Nuß aufzubrechen und den Kern nach meinem Willen zu formen.
Ich wollte, er könnte die tief in seine Seele eingravierten Methoden und
Vorbilder der mongolischen, chinesischen und Herater Meister überwinden, ja
falls notwendig, sogar vergessen. Als ich ihm dies nahelegte, gab er sogleich
zurück, er habe diese ohnehin vergessen, wie viele Illustratoren, die Werkstatt
und Länder wechselten, und, recht betrachtet, nie erlernt. Für die meisten
Malkünstler sind diese herrlichen, in ihrem Gedächtnis gelagerten Muster
wertvoll, doch Velican wäre ein noch größerer Illustrator geworden, wenn er sie
vergessen hätte. Daß er, ohne sich dessen bewußt zu sein, nicht auf das von den
Altmeistern Erlernte in den Tiefen seiner Seele verzichten konnte und wie eine
Sünde verbarg, brachte ihm zwei Vorteile: 1. Es gab ihm ein Gefühl von Schuld
und Fremdheit, das dem Können eines so begabten Buchmalers wie ihm die rechte
Reife verlieh; 2. er würde sich an das erinnern, was er als vergessen angab,
wenn er in Schwierigkeiten war, und konnte mit Hilfe eines der alten Herater
Muster ein neues Thema, etwas historisch Neues, eine ungewöhnliche Szene
bewältigen. Da er ein sehr guter Beobachter ist, weiß er die alten Muster und
das von den alten Meistern des Schah Tahmasp Erlernte harmonisch in das neue
Bild einzupassen. Unter seiner Hand gehen das Herater Bild und die Istanbuler
Illustration harmonisch ineinander über.
Einmal hatte ich ihn, ohne ihn
vorher zu benachrichtigen, bei sich zu Hause aufgesucht, wie ich's bei allen
meinen Illustratoren tat. Ganz im Gegensatz zu mir und vielen meiner Meister
war die Ecke, in der er saß und arbeitete, ein einziges Durcheinander von
Farben, Pinseln, Glättemuscheln, Buchständern und anderen Dingen, und alles
lag im Schmutz herum. Es war ein Rätsel für mich, doch er hatte sich dessen
nicht einmal geschämt. Zudem nahm er keine Arbeit von außerhalb an, um ein paar
Asper mehr zu verdienen. Nachdem ich dies erwähnt hatte, erklärte Kara, es sei
Olive gewesen, der sich am meisten für die Methoden der fränkischen Meister
des seligen Oheims erwärmt und sie übernommen habe. Ich verstand, daß dies dem
seligen Toren zufolge ein Lob war. Aber auch eine falsche Feststellung. Ob
Olive insgeheim und weitaus mehr, als sichtbar wurde, den Herater Methoden – übernommen von dem Meister seines Vaters, Siyavuş, und dessen Meister Muzaffer und weiter zurück
aus dem Zeitalter des Behzat und der ganz alten Meister – verbunden war, weiß
ich nicht, doch ich hatte mich stets gefragt, was ihm noch an Heimlichkeiten
eigen war. Er ist der stillste, empfindsamste, schuldigste, treuloseste und
hinterhältigste meiner Buchmaler (sagte ich ganz unerwartet zu mir selbst). Bei
dem Gedanken an die Folter des Gardenobersten kam er mir als erster in den
Sinn. (Ich wollte, daß er gefoltert wurde, und wollte
Weitere Kostenlose Bücher