Pamuk, Orhan
es wieder nicht.) Er hat
Luchsaugen, sieht alles, bemerkt alles, auch meine Fehler; doch mit der
Bedachtsamkeit des Heimatlosen, der sich jeder Lage anpaßt, öffnete er selten
den Mund, um auf unsere Mängel hinzuweisen. Hinterhältig ist er, ja, aber kein
Mörder, wenn's nach mir geht. (Auch das habe ich Kara nicht gesagt.) Er glaubt
an nichts, auch nicht an das Geld, häuft es aber ängstlich an. Doch die Mörder
kommen keineswegs, wie man annimmt, aus den Reihen derer ohne Glauben, sondern
aus denen der allzu Gläubigen. Das Illustrieren ist ein Tor zur Malerei, und
die Malerei ist eines, das – der Himmel bewahre! – zum Wetteifer mit Allah
führt, wie jedem bekannt ist. So gesehen ist Olive seiner Ungläubigkeit wegen
ein wahrer Maler. Dennoch meine ich, daß er weniger talentiert ist als
Schmetterling, ja, weniger sogar als Storch. Ich wollte, Olive wäre mein Sohn.
Dies sagte ich, um Karas Eifersucht auf Olive zu erwecken, doch er öffnete nur
seine dunklen Augen und blickte mich kindlich neugierig an. Da sagte ich ihm,
daß Olive wundervoll sei, wenn er für die Sammelalben mit Pinsel und schwarzer
Tinte einzelne Krieger, Jagdszenen oder Landschaften nach Art der Chinesen mit
Störchen und Kranichen zeichnete, oder schöne Knaben, die unter einem Baum
sitzen, Gedichte lesen und Ud spielen, oder wenn er den Kummer legendärer
Liebender, den Zorn eines mit dem Schwert bewaffneten, wutentbrannten Schahs
oder die Furcht im Gesicht eines Helden wiedergab, der dem Angriff eines
Drachen ausweicht.
»Vielleicht wollte der Oheim ihn das
letzte Bild malen lassen, auf dem das Gesicht unseres Padischahs und seine
Sitzweise in allen Einzelheiten wie bei den Franken abgebildet werden sollte«,
sagte Kara.
Wollte er mich verwirren?
»Wäre es so gewesen, warum sollte
Olive dann nach dem Mord an dem Oheim ein Bild entwenden, das er ohnehin
kannte?« fragte ich. »Oder warum sollte er den Oheim töten, um das Bild zu sehen?«
Einen Augenblick lang dachten wir
beide nach.
»Weil auf dem Bild etwas fehlt«,
sagte Kara. »Oder weil er etwas bereut und Angst bekommen hat. Oder auch ...«
Er überlegte noch ein wenig.
»Oder könnte es nicht sein, daß er
es nach dem Mord an meinem armen Oheim als Andenken mitnahm, oder einfach, um
Schaden anzurichten oder irgend etwas Sinnloses zu tun? Olive ist ein großer
Illustrator, und er wird natürlich Achtung haben vor einem schönen Bild.«
»Wir sprachen bereits darüber, daß
Olive ein großer Illustrator ist«, sagte ich und wurde böse. »Aber schön ist
kein einziges dieser Bilder des Oheims!«
»Das letzte haben wir nicht
gesehen«, meinte Kara beherzt.
DIE EIGENSCHAFTEN SCHMETTERLINGS
Man kennt ihn als Hasan Çelebi von der
Pulverfabrik, doch für mich ist er immer Kelebek, der Schmetterling. Dieser
Beiname erinnert mich stets an die Schönheit seiner Kindheit und Jugend, denn
wer ihn sah, traute seinen Augen nicht und wollte ihn noch einmal anschauen,
so schön war er. Und was daran immer wieder erstaunlich war – seine Begabung
gleicht seiner Schönheit. Ein Meister der Farbe, das ist seine Stärke, und er
koloriert so leidenschaftlich, als bringe ihn das Vergnügen dieser Tätigkeit
zum Drehen und Tanzen. Doch ich erklärte Kara auch geradeheraus, daß
Schmetterling flüchtig, ziellos und unentschlossen sei. Und ich fügte in meinem
Gerechtigkeitseifer hinzu: Er sei der wahre, mit dem Herzen malende
Illustrator. Wenn das Illustrieren allein der Freude des Auges dienen soll,
nicht aber der Vernunft, um das Tier in uns anzusprechen oder um dem Stolz des
Sultans zu schmeicheln, dann ist Schmetterling der wahre Illustrator. Er zieht
weite, zwanglose, fröhliche und gerundete Linien, als wäre er vor vierzig
Jahren bei den Meistern von Kazvin in die Lehre gegangen, trägt mutig glänzende,
unvermischte Farben auf, und in der geheimen Komposition des Bildes findet sich
stets ein sanfter Kreislauf. Ich aber habe ihn ausgebildet, nicht die längst
verrotteten Meister von Kazvin. Mag sein, daß ich ihn deswegen liebe wie einen
Sohn, ja, mehr als einen Sohn, aber keine Bewunderung für ihn hege. Wie alle
meine Zöglinge habe ich ihn während der Kinder- und Jugendjahre oft mit dem
Stiel des Rohrstiftes, dem Lineal und sogar mit einem Stück Holz geschlagen,
was aber keineswegs heißt, ich hätte ihn nicht geachtet. Denn auch Storch habe
ich oft mit dem Lineal gezüchtigt, doch ich achte ihn. Die Hiebe des Meisters
treiben nicht, wie allgemein angenommen, dem jungen Schüler
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