Pamuk, Orhan
ein
großer Meister, weiß es aber nicht und kann beim Malen die Welt um sich herum
nicht vergessen.«
Kaum hatte ich das ausgesprochen,
als ich begriff, wie sehr es im Grunde genommen auch mein Wunsch war, daß
Schmetterling nach mir die Führung der Buchmalerwerkstatt übernahm. Olive kann
ich nicht trauen, und Storch würde schließlich, ohne es zu merken, ein
Instrument der fränkischen Methoden werden. Bei dem Gedanken, Schmetterling sei
fähig zu einem Mord, erfüllte mich Trauer, doch sein Verlangen, geliebt zu
werden, war notwendig, damit er die Buchmalerwerkstatt und den Padischah
gleichzeitig lenken konnte. Nur er vermochte mit seiner Empfindsamkeit und
seinem Glauben an die Farben dem Talent der Franken entgegenwirken, die den
Betrachter täuschen wollen und ihre Kardinäle, Brücken, Boote, Leuchter,
Kirchen und Ställe, Ochsen und Räder, als wären sie alle von gleicher Bedeutung
vor Allah, einschließlich der Schatten in allen Einzelheiten zeichnen und nicht
wie ein Bild, sondern wie die Wirklichkeit selbst zeigen.
»Habt Ihr ihn jemals, wie die
anderen Buchmaler, ohne vorher Bescheid zu geben in seinem Haus aufgesucht?«
»Wer die Bilder Schmetterlings
betrachtet, wird spüren, daß er Liebe und Trauer von ganzem Herzen erkennen und
den Wert der Liebe vom ersten Augenblick an begreifen wird. Doch wie alle Liebhaber
der Farbe wird er von Lust und Neigung hin- und hergerissen, und er ändert
sich blitzschnell. Ich habe den Heranwachsenden sehr aufmerksam beobachtet und
weiß alles über ihn, weil ich von der wundervollen Gottesgabe, seinem Talent
und seinem Farbempfinden hingerissen war. Die anderen Illustratoren werden
natürlich in so einer Lage sofort eifersüchtig, und das Verhältnis von Meister
und Schülern wird gespannt und nimmt Schaden. Es gab viele Augenblicke der
Liebe, in denen Schmetterling keine Furcht davor hatte, was andere sagen
würden. Nachdem er vor kurzem die hübsche Tochter des Krämers aus seinem
Viertel geheiratet hat, fühlte ich kein Verlangen danach, ihn zu besuchen, und
fand auch keine Gelegenheit dazu.«
»Es geht das Gerücht um, er sei eng
mit den Anhängern des Hodschas von Erzurum verbunden«, sagte Kara. »Es heißt,
Schmetterling habe viel zu gewinnen, wenn unsere Festbücher mit den Bildern
der Paraden vom Koch bis zum Gaukler, vom Derwisch bis zum Tänzer in
Weiberkleidern, vom Kebabmacher bis zum Schlosser und auch unsere
Feldzugsbücher über Kriege, Waffen, blutige und gewöhnliche Augenblicke von den
tiefgläubigen Jüngern des Hodschas verurteilt und dann wegen Mißachtung der
Religion verboten werden und man zu den Büchern und Vorbildern der alten
persischen Meister zurückkehrt.«
»Auch wenn wir könnerisch und
überlegen zu jenen wundervollen Bildern aus der Zeit der Timuriden zurückkehren,
auch wenn wir auf die Einzelheiten seines Lebens und seiner Berufung eingehen,
die nach mir der kluge Storch am besten fortführen könnte, wird am Ende alles
vergessen werden«, erklärte ich mitleidlos. »Denn jeder wird malen wollen wie
die Franken.«
Glaubte ich an diese unheilvollen
Worte?
»Das hat auch mein Oheim gesagt«,
ließ Kara sich leise vernehmen, »doch er war zuversichtlich.«
DIE EIGENSCHAFTEN STORCHS
Ich habe seine Signatur als »Maler
Mustafa Çelebi
der Sünder« gesehen. Denn er signiert, ohne sich darüber den Kopf zu
zerbrechen, ob er einen Stil hat oder nicht, ob er einen haben müßte, und wenn,
ob er dann durch eine Signatur kenntlich sein oder sie wie die alten Meister
verbergen sollte, ob Bescheidenheit nach einer Signatur verlangt oder nicht – nein, er setzt sie lächelnd und siegesgewiß auf ein Werk.
Er hat den Weg, den ich ihm wies,
mutig beschritten, hat Dinge gesehen und zu Papier gebracht, die keiner vor ihm
hatte abbilden können. Genau wie ich sah er stets, wie die Glasbläsermeister
die im Ofen geschmolzene Masse auf ihren Stöcken drehten und zu blauen Kannen
und grünen Flaschen aufbliesen, sah das Leder, die Nadeln und Leisten der
Schuhmacher, die, aufmerksam über Schuhe und Stiefel gebeugt, daran nähten,
oder die zarte Bogenlinie, die eine Schaukel auf einem Festplatz zog, oder das
Öl, das unter der Presse aus den Samen quoll, oder das Feuer aus unseren auf
den Feind gerichteten Kanonen, oder die Läufe oder Schrauben unserer Gewehre,
und er sagte nicht, keiner der alten Meister der Timuridenzeit, der legendären
Illustratoren von Täbris und Kazvin ließ sich je dazu herab, dies zu malen,
sondern er tat es. Er
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