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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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die Geister des Talents
und den Teufel aus, sondern unterdrücken sie nur vorübergehend. Wenn es gute
und berechtigte Hiebe sind, dann werden Geister und Teufel später recht
aufsässig und treiben den heranreifenden Illustrator zur Arbeit an. Die von
mir verabreichten Prügel haben aus Schmetterling einen glücklichen und gehorsamen
Buchmaler gemacht.
    Dennoch erlag ich dann dem Zwang,
ihn vor Kara zu loben, und sagte, seine Kunst sei ein guter Beweis dafür, daß
nur durch die von Allah verliehene Gabe des Kolorierens das Bild des Glücks ermöglicht
wird, welches der Dichter in seinen Versen erbittet. Als ich dies erkannt
hatte, war mir auch klargeworden, was Schmetterling fehlte: Es war jener
Augenblick des Unglaubens, den Cami in seinem Gedicht »die finstere Nacht der
Seele« nennt und den es für ihn nicht gibt. Wie ein Illustrator, der selig im
Paradiese malt, beginnt er gläubig und froh seine Arbeit, überzeugt davon, ein
glückerfülltes Bild zu schaffen, und er schafft es tatsächlich. Die Belagerung
der Burg von Doppio durch unsere Heere, der ungarische Gesandte, der den Fuß
unseres Sultans küßt, und der Ritt unseres Propheten hinauf in den siebenfachen
Himmel, sie sind jedes für sich ein glückliches Ereignis, doch unter
Schmetterlings Händen verwandeln sie sich in wahre Augenblicke der höchsten
Freude, die uns aus den Seiten entgegenfliegen. Wenn auf einem Bild, mit dem
ich ihn beauftrage, die Finsternis des Todes oder der tiefe Ernst einer
Diwanversammlung zu stark zu spüren sind, sage ich zu Schmetterling: »Koloriere
es, wie du magst«, und auf diese Weise beginnen die eben noch stillen und wie
mit Grabeserde bestreuten Röcke, Blätter, Fahnen und Meere sofort, Wellen zu
schlagen. Manchmal glaube ich, es sei Allahs Wille, die Welt so zu sehen, wie
Schmetterling sie malt, und daß das Leben nach Seinem Gebot ein Fest sein soll.
Es ist ein Reich, in dem die Farben auf harmonische Weise vollendete Verse
rezitieren, in dem die Zeit stillsteht und das der Satan niemals besucht.
    Aber selbst Schmetterling weiß, daß
dies ein Mangel ist. Irgend jemand muß ihm – natürlich zu Recht – zugeflüstert
haben, daß alles in seinen Darstellungen dem Frohsinn der Festtage gleicht,
doch jeder Tiefe entbehrt. An seinen Bildern delektieren sich nur Kinderprinzen
und senile Haremsdamen mit einem Fuß im Grab, nicht aber Männer, die mitten im
Leben stehen und mit dem Bösen kämpfen müssen. Da sich der arme Schmetterling
des Geredes über ihn sehr wohl bewußt ist, wird er manchmal auf wesentlich
weniger begabte Buchmaler eifersüchtig, nur weil sie ihre Teufel und Dämonen
haben. Was er jedoch für Teufelei und Dämonie hält, ist in Wahrheit zumeist
nichts weiter als Bosheit und Neid.
    Ich ärgere mich über ihn, denn nur
die Vorstellung, daß sein Werk anderen Menschen gefallen wird, macht ihn
glücklich, nicht aber das Sichverlieren in dem herrlichen Reich, während er
malt. Ebenso ärgert es mich, daß er an das Geld denkt, das er verdienen wird.
Eine weitere Ironie des Lebens: Es gibt viele Illustratoren, die weniger begabt
sind als er, sich aber während des Malens ihrer Kunst viel stärker hingeben
können.
    Da Schmetterling besessen ist von
dem Gedanken, diese Unzulänglichkeiten ausgleichen zu müssen, will er
unbedingt beweisen, daß er sich für die Kunst aufopfert. Wie jene Spatzenhirne
von Illustratoren, die Bilder auf Fingernägeln oder Reiskörnern malen, welche
man kaum mit bloßem Auge sehen kann, so beschäftigt er sich mit feinen, zarten
Arbeiten. Einmal habe ich ihn gefragt, ob er sich der ihm von Allah mehr als
reichlich verliehenen Gabe schäme, weil er sich auf etwas einließ, was so viele
Maler schon früh erblinden läßt. Nur unbegabte Illustratoren, die berühmt
werden und sich bei dickschädligen Auftraggebern beliebt machen wollen, gieren
danach, jedes Blatt an einem Baum, der auf ein Reiskorn gemalt ist, einzeln zu
zeichnen.
    Diese unüberwindliche Gefallsucht
Schmetterlings, seine Neigung, nicht für das eigene, sondern für das Auge der
anderen zu ornamentieren und zu malen, machte ihn mehr als jeden anderen zum
Sklaven des Lobes. Deshalb möchte sich der feige Schmetterling auch absichern
und Erster Illustrator werden. Auf dieses Thema war Kara gekommen.
    »Ja«, sagte ich, »mir ist bekannt,
daß er allerlei Fäden spinnt, um nach meinem Tod meinen Platz einzunehmen.«
    »Könnte er aus diesem Grund seine
Buchmalerbrüder umbringen?«
    »Er könnte es tun. Denn er ist

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