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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Beutel Gold zu gewinnen. Es ist doch bekannt, daß niemand mit
meinen Pferden zu wetteifern vermag, wenn es darum geht, ein gewöhnliches Pferd
zu zeichnen. Wer hat unserem Sultan etwas vorgeschwatzt? Trotz des ganzen
Geredes meiner Neider weiß unser Großherr nur allzugut, daß ich der Illustrator
mit dem größten Talent bin, und liebt meine Bilder.
    Plötzlich bewegte sich meine Hand so
zornig, als wolle sie all diese Berechnungen fortschieben, und ich zeichnete,
beginnend am Huf, ein wahres Pferd in einem Zug. Ihr seht sie auf der Straße,
im Krieg, ermüdet, aber gesammelt ... Noch immer zornig, warf ich dann das
Pferd eines Spahis auf das Papier, und es wurde noch schöner. Kein Illustrator
in der Buchmalerwerkstatt kann so schöne Dinge schaffen. Ich war drauf und
dran, noch eins aus dem Gedächtnis zu zeichnen, als der junge Palastbote
sagte: »Eins ist genug.«
    Er wollte nach dem Papier greifen
und fortgehen, doch ich hielt ihn zurück. Wie ich nur allzugenau wußte, würden
die Schufte nicht zulassen, daß man für diese Pferde einen Beutel Gold gab.
    Wenn ich auf meine Art zeichne,
verhindern sie, daß ich das Gold bekomme. Wenn ich aber dieses Gold nicht
bekommen kann, wird mein Name von nun an befleckt sein. Ich überlegte. »Warte!
« sagte ich zu dem Pagen, ging hinein, holte zwei so falsche wie glänzende
venezianische Goldmünzen und steckte sie dem Jungen in die Hand: Er hatte
Angst, bekam große Augen. »Du bist mutig wie ein Löwe!« sagte ich zu ihm.
    Ich holte eines meiner Musterhefte
hervor, die ich stets vor allen verberge. Darin hatte ich von den schönsten
Bildern, die ich im Lauf der Jahre zu sehen bekam, heimlich je eine Kopie
gemacht. Dazu kamen die besten Bäume, Drachen, Vögel, Jäger und Krieger, die
der Zwergenälteste Cafer aus der Schatzkammer dort, wo die Bücher hinter Schloß
und Riegel liegen, für dich kopiert, wenn du ihm, dem gemeinen Kerl, zehn
Goldstücke gibst. Mein Heft ist wundervoll für jene, die im Bild und Ornament
nicht die wahre Welt sehen wollen, in der sie leben, sondern sich der alten
Meister und der alten Märchen erinnern möchten.
    Während ich den Pagen zuschauen
ließ, blätterte ich die Seiten um und wählte das beste Pferd aus. Dann stach
ich zügig mit einer Nadel Löcher auf den Linien meiner Zeichnung. Ich legte ein
sauberes Blatt unter die Schablone, verteilte nach und nach reichlich Kohlenstaub
darüber und schwenkte das Ganze, damit der Staub die Löcher richtig
durchdringe. Danach hob ich die Schablone an. Der Kohlenstaub hatte die Gestalt
des schönen Pferdes Punkt für Punkt auf dem unteren Bogen wiedergegeben, und es
gefiel mir.
    Ich griff nach meinem Rohrstift. Von
einer plötzlichen Eingebung beflügelt, verband ich rasch und ohne Zögern die
Punkte auf feine, zarte Art, so daß ich das Pferd liebevoll in meinem Innern
spürte, während ich seinen Leib, seinen hübschen Hals, seine Nase und seine
Kruppe zeichnete. »Hier ist es, das schönste Pferd der Welt!« sagte ich.
»Keiner der anderen Dummköpfe könnte es zeichnen.«
    Damit er (der auch nur ein Mensch
ist) auf keinen Fall zu unserem Padischah lief und ihm berichtete, aus welchem
Einfall heraus ich das Bild gezeichnet hatte, gab ich dem Jungen drei weitere
falsche Goldstücke. Ich würde ihm noch mehr geben, ließ ich durchblicken, wenn
ich einen Beutel Gold gewönne. Außerdem erhoffte er sich wohl, meine Frau
erneut sehen zu können, die er mit offenem Mund angestarrt hatte. Viele
meinen, es mache einen guten Illustrator aus, wenn man ein gutes Pferdebild
zeichnen könne. Wohingegen es nicht reicht, das beste Bild eines Pferdes zu
zeichnen, um der beste Illustrator zu sein. Ihr müßt auch unseren Padischah und
die Schmeichler in seiner Umgebung davon überzeugen, daß ihr der beste
Illustrator seid.
    Nur dann, wenn ich ein wundervolles
Pferdebild zeichne, kann ich sein, wer ich bin.

46
  Sie werden mich Mörder nennen
    Hat euch die Art und Weise, wie ich ein Pferd
zeichne, verraten, wer ich bin?
    Sowie ich den Auftrag vernahm, wußte
ich sofort, daß es kein Wettstreit, sondern eine Probe war, daß man durch das
Pferdebild meine Identität feststellen wollte. Mir ist doch klar, daß meine
Skizzen, die ich zur Übung auf grobem Papier machte, bei der Leiche des armen
Fein Efendi gefunden wurden. Wie aber sollte man erkennen, wer ich bin, wenn
man die von mir gezeichneten Pferde betrachtet, da ich keine Schwäche, keinen
Stil habe? Dessen war ich so sicher, wie man nur sein kann,

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