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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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verkünden läßt, daß Ihr heute abend aus diesem Grund einen Wettstreit
angeordnet habt, und jemand nachts an die Türen unserer Illustratoren klopft
und verlangt, für diesen Wettstreit sehr rasch auf ein leeres Blatt ein
Pferdebild zu zeichnen ...«
    Hast du das gehört? schien der Blick
zu sagen, den unser Padischah dem Obersten der Gartengarde zuwarf. Dann fragte
er: »Wißt ihr, welche der Geschichten des Poeten Nizami von einem Wettstreit
ich am meisten liebe?«
    »Wir wissen es«, sagten einige von
uns, andere fragten: »Welche ist es?«, und der Rest schwieg gleich mir.
    »Die Geschichte von dem Wettstreit
der Poeten mag ich nicht, auch nicht die mit dem Spiegel, in der die
chinesischen und die abendländischen Maler miteinander wetteifern«, erklärte
unser schöner Padischah. »Am liebsten ist mir jene Geschichte von dem tödlichen
Wettstreit der Ärzte.«
    Kaum hatte er diese Worte
gesprochen, als er uns verließ, um beizeiten das Abendgebet zu verrichten.
    Später, während der Ruf zum Gebet
erscholl, nachdem ich im Halbdunkel durch die Tore des Sarays ins Freie gelangt
war und schnellen Schrittes auf unser Viertel zulief und glückerfüllt an Şeküre,
die Kinder und unser Haus dachte, kam mir mit Schrecken die Erzählung von dem
Wettstreit der beiden Ärzte in den Sinn:
    Einer der beiden Ärzte, die in
Gegenwart ihres Sultans miteinander wetteiferten – meist wurde er in einem
rosafarbenen Gewand dargestellt –, hatte eine grüne Pille aus so starkem Gift
gefertigt, daß sie einen Elefanten hätte umbringen können; er gab sie dem anderen
Arzt, dem im blauen Kaftan. Der schluckte zuerst genußvoll die giftige Pille
und sofort darauf ein dunkelblaues Gegengift, das er auf der Stelle zubereitet
hatte. Ihm war nichts geschehen, wie sein sanftes Lachen zeigte. Außerdem war
er jetzt an der Reihe, seinen Rivalen den Hauch des Todes riechen zu lassen. Er
kostete aus, daß er nun am Zug war, und bewegte sich sehr, sehr langsam,
pflückte im Garten eine rosa Rose, hielt sie an seine Lippen und flüsterte
dunkle Verse hinein, die niemand hören konnte. Danach hielt er die Rose
überlegen und selbstsicher dem Arzt im rosa Gewand zum Beriechen entgegen. Der
Arzt in Rosa war so überwältigt von der Macht der Verse, die der andere der
Rose zugeflüstert hatte, daß er augenblicklich schreckerfüllt zu Boden stürzte
und starb, als er die Rose an die Nase hielt, die allein ihren Duft verströmte.

43
  Man nennt mich Olive
    Es war vor dem Abendgebet, als man an die Tür
pochte. Ich öffnete und sah, es war einer der Männer des Obersten der
Gartengarde aus dem Saray, sauber, hübsch, lächelnd, jung und ansehnlich. Er
trug eine Öllampe in der Hand, die sein Gesicht eher verschattete als erhellte,
dazu ein Blatt Papier und ein Arbeitsbrett, und erklärte sofort: Unser
Padischah habe einen Wettstreit angeordnet, um festzustellen, wer von den
Altmeistern unter den Illustratoren in einem Zug das schönste Pferdebild
zeichnen konnte. Man fordere von mir, mich sofort auf den Boden zu setzen, das
Papier auf das Brett, das Brett über die Knie zu legen und an der angezeigten
Stelle innerhalb des Rahmens so rasch wie möglich das schönste Pferdebild der
Welt zu zeichnen.
    Ich ließ meinen Besucher ein, lief
und holte meinen feinsten Pinsel aus dem Haar der Katzenohren und meine Tinte
herbei. Dann ließ ich mich nieder und hielt inne. Konnte an dieser Sache ein
Trick sein, den ich womöglich mit meinem Leben bezahlen müßte? Vielleicht!
Doch waren nicht all die Legenden der alten Herater Meister mit dieser feinen
Linie zwischen Leben und Schönheit gezeichnet worden?
    Einerseits drängte mich das
Verlangen, zu illustrieren, doch ich fürchtete mich auch davor, so ganz und gar
nach Art der alten Meister zu zeichnen, und hielt mich zurück.
    So wartete ich einen Augenblick und
schaute auf das leere Blatt, um die Unruhe aus meiner Seele zu vertreiben. Ich
mußte nur an das schöne Pferd denken, das ich zeichnen sollte, mußte Kraft und
Aufmerksamkeit sammeln.
    Und schon begannen alle
Pferdebilder, die ich bis heute geschaffen und gesehen hatte, an meinen Augen
vorbeizuziehen. Aber eines davon war das vollkommenste. Dieses Pferd, das
bisher noch niemandem gelungen war, würde ich jetzt zeichnen. Ich vergegenwärtigte
es mir, alles andere verging, und es war, als hätte ich mich selbst vergessen
in dem Augenblick und auch, daß ich hier saß und ein Bild malen würde. Meine
Hand hatte den Pinsel ganz von selbst in das

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