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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Pferdes begonnen hatte, das man sich vorstellen konnte. Nachdem
das Bein sogleich mit dem Leib verbunden war, zog ich mutig, rasch und lustvoll
zwei Bögen, die ihr, wär's euch möglich gewesen, sie zu sehen, nicht einem
Maler, sondern einem höchst geschickten Kalligraphen zugeschrieben hättet. Ich
bestaunte meine Hand, die sich ganz von allein bewegte, als gehöre sie einem
anderen. Diese herrlichen Bögen waren der wunderbar runde Bauch des Pferdes,
seine kräftige Brust und sein schwanengleicher Hals geworden, und das Bild
konnte als vollendet betrachtet werden. Wie begabt ich doch bin! Unterdessen
hatte meine Hand von selbst das offene Maul und die Nase des glücklichen,
starken Tieres umrundet, die kluge Stirn und die Ohren gezeichnet. Als nächstes – schau, Mutter, wie schön! – zog ich noch einen Bogen, als wär's ein
Buchstabe, wie lustig, fast hätte ich gelacht. Von dem makellos geschwungenen
Hals meines sich aufbäumenden Pferdes ging ich bis zum Sattel hinab. Meine Hand
zeichnete ihn; mit Stolz betrachtete ich die nunmehr sichtbare Gestalt meines
drallen Pferdes, dessen Leib so rund war wie der meine: Jeder würde es
bewundern. Ich stellte mir die schönen Worte vor, die mir unser Sultan sagen
würde, wenn ich den Preis gewann: Er überreicht mir einen Beutel voller
Goldstücke; und ich fühlte ein Lachen in mir aufsteigen, als ich mir
vorstellte, wie ich sie zu Hause einzeln zählte. Dabei sah ich aus dem Augenwinkel,
daß meine Hand den Sattel vollendet, meinen Pinsel in das Fäßchen getaucht und
herausgezogen hatte, worauf ich lachend und wie im Scherz die Kruppe des
Pferdes zeichnete. Rasch umriß ich den Schweif. Wie schön ich sein Hinterteil
rundete, so liebevoll, als wolle ich es festhalten wie den süßen Hintern eines
Knaben, den ich mir jetzt sofort vornehmen könnte. Meine kluge Hand vollendete
die Hinterbeine, während ich lächelte, und dann ruhte mein Pinsel: Es war das
schönste sich aufbäumende Pferd der Welt geworden. Freude erfüllte mich, und
ich dachte beglückt daran, daß mein Werk Gefallen finden, daß man mich zum
Illustrator mit dem größten Talent, ja jetzt schon zum Ersten Illustrator
ernennen würde, als ich auf einmal an das unvermeidliche Gerede jener Dummköpfe
denken mußte: Wie schnell und spielerisch hat er das hingeworfen! Ich
befürchtete, sie würden allein aus diesem Grund mein wundervolles Bild nicht
ernst nehmen. So ging ich daran, jede kleine Einzelheit auszuführen, die
Mähne, die Nüstern, die Zähne, die Schweifhaare, damit man die Mühe sah, die
ich für das Bild aufgewendet hatte. Bei dieser Haltung müßte man eigentlich von
der Seite hinten die Hoden des Pferdes sehen, doch ich stellte sie nicht dar,
weil sie den Weibern zu schaffen machen könnten. Stolz betrachtete ich mein
Pferd: Es stand auf den Hinterbeinen, war schnell wie der Sturmwind, kräftig
und stark! Ein Wind schien die runden Linien aufgewirbelt und wie die
Buchstaben einer Schrift in Bewegung gesetzt zu haben, und dennoch strömte das
Tier Ruhe aus. Man würde den wunderbaren Illustrator dieses Bildes genauso wie
Behzat, wie Mir Musavvir loben, und dann würde ich sein wie sie.
    Ich werde beim Zeichnen eines
wundervollen Pferdebildes zu einem anderen Illustrator, der ein wundervolles
Pferdebild zeichnet.

45
  Man nennt mich Storch
    Es war nach dem Abendgebet, und ich wollte ins
Kaffeehaus gehen, als es hieß, jemand sei an der Tür. Gute Nachricht,
hoffentlich! Ich fand einen Boten aus dem Saray vor. Er erklärte, um was es
ging. Nun gut, das schönste Pferd der Welt. Sagt mir, wie viele Asper ihr mir
je Stück gebt, und ich zeichne euch sofort fünf oder sechs der schönsten Pferde
der Welt.
    Doch ich war vorsichtig, behielt das
für mich und ließ den Jungen eintreten. Ich überlegte: Das schönste Pferd der
Welt gibt es doch nicht, wie soll ich das zeichnen?! Kriegspferde, große
mongolische Pferde, edle Araberpferde, heldenhafte Pferde, die sich in ihrem
Blut wälzen, ja sogar die unglücklichen Gäule, die einen Wagen voller Steine zu
einer Baustelle ziehen, kann ich zeichnen, aber wer würde sie die schönsten
Pferde der Welt nennen? Wenn unser Padischah von dem schönsten Pferd der Welt
sprach, dann war mir selbstverständlich klar, daß er das herrlichste jener
Pferde meinte, die tausendmal im Land der Perser unter Beachtung aller Regeln
und Vorbilder in einer bestimmten Haltung abgebildet waren. Warum ich es wußte?
    Natürlich weil es mir manche nicht
gönnen, einen

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