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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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und ausgelöscht worden war und sich im
ganzen Land der Perser die Herater Illustrationsweise durchgesetzt hatte.
Zweifellos hatte hierbei die richtige Logik des Buches Die Pferde des
Blinden von Kemalettin Rıza von Herat, der die drei Bücher gewaltig
kritisiert und meint, sie müßten verbrannt werden, eine wichtige Rolle
gespielt: Keines der in den drei Büchern des Cemalettin von Kazvin
geschilderten Pferde könne als ein Pferd Allahs gelten, weil sie nicht makellos
seien; der greise Altmeister habe sie beschrieben, nachdem er, wenn auch nur
einmal und ganz kurz, Zeuge einer Kampfszene geworden war. Daß einige dieser
dreihundertdrei Beschreibungen von Zeit zu Zeit in Istanbul in anderen Büchern
auftauchen, ja, daß sogar manche Pferde diesen Beschreibungen gemäß dargestellt
werden, sollte nicht verwunderlich sein, denn Sultan Mehmet der Eroberer hat
die Schätze Hasans des Langen vom Weißen Hammel plündern und nach Istanbul bringen
lassen.
    LAM
    Die Bildheit eines Buchmalermeisters, die gegen
Ende seines Lebens durch die Überanstrengung der Augen hervorgerufen wird,
gilt in Herat und Schiras nicht nur als ein Zeichen der Bestimmung des
Betroffenen, sondern gleichzeitig als ein anerkennendes Lob Allahs für seine
Mühen und sein Können. Es gab eine Zeit in Herat, da Illustratoren, die trotz
ihres Alters noch ihr Augenlicht besaßen, die Blindheit herbeisehnten, weil man
sie mit Argwohn betrachtete. Während eines langen Zeitraums, in dem man voller
Bewunderung jener gedachte, die sich das Augenlicht nahmen, jener legendären
Meister, die sich lieber selbst blendeten, als einem anderen Schah zu dienen
oder ihren Stil zu ändern, gab es nur einen, Abu Said, den Enkelsohn Timurs aus
der Linie des Schah Miran, der nach der Eroberung von Taschkent und Samarkand
in der von ihm gegründeten Buchmalerwerkstatt einer Neuerung der Weg ebnete,
der zufolge die Nachahmung der Blindheit von nun an in höherem Ansehen stand
als die Blindheit selbst. Inspiriert wurde Abu Said durch den Schwarzen Veli,
einen alten Meister, der behauptet hatte, der blinde Illustrator sehe in der
Dunkelheit ohnehin Allahs Pferde, das eigentliche Talent aber zeige sich bei
dem sehenden Künstler, der die Welt wie ein Blinder erfassen könne. Und er
hatte es als Siebenundsechzigjähriger bewiesen, als er ein Pferd auf das Blatt
warf, wie es ihm gerade aus der Spitze seines Pinsels floß, ohne zu denken,
ohne das Papier anzusehen, obwohl seine weit geöffneten Augen darauf gerichtet
waren. Nach diesem feierlichen Augenblick, den Schah Miran zur Unterstützung
des legendären Meisters vom Udspiel tauber Musiker und den Geschichten stummer meddahs begleiten ließ, wurde das herrliche Pferd des Schwarzen Velis
lange mit all den anderen Pferden verglichen, die der große Meister gezeichnet
hatte, und es war nicht der geringste Unterschied zu sehen. Da dies Schah Miran
beunruhigt hatte, erklärte der legendäre Meister, der wahrhaft talentierte
Illustrator sehe, ob mit offenen oder geschlossenen Augen, die Pferde stets auf
nur eine Art und Weise vor sich, nämlich so, wie Allah sie sehe. Er meinte,
wenn es sich um einen großen Meister der Buchmalkunst handele, gebe es keinen
Unterschied zwischen dem Sehenden und dem Blinden; die Hand zeichne stets
dasselbe Pferd – denn die »Stil« genannte fränkische Erfindung hat es damals
noch nicht gegeben. Einhundertzehn Jahre lang wurden die Pferde des großen
Altmeisters Veli der Schwarze von allen moslemischen Illustratoren nachgeahmt,
er selbst aber ging nach der Niederlage Abu Saids und der Auflösung von dessen
Buchmalerwerkstatt nach Kazvin, wo man ihm zwei Jahre darauf vorwarf, er wolle
jenen Vers des Korans, der das sagt: »Nicht gleichen sich der Blinde und der
Sehende«, böswillig anzweifeln, und er zuerst geblendet und dann von den
Soldaten des Schah Nizam umgebracht wurde.
    Ich hätte vielleicht noch eine dritte Geschichte erzählt
und dem Kalligraphenlehrling mit den schönen Augen geschildert, daß Altmeister
Behzat sich selbst blendete, daß er niemals von Herat fortziehen wollte, warum
er niemals mehr malte, nachdem man ihn gewaltsam nach Täbris gebracht hatte,
daß der Stil eines Illustrators derjenige der Buchmalerwerkstatt ist, der er
angehört, wie all die anderen Legenden, die ich von Altmeister Osman gehört
hatte, doch ich wurde von dem meddah Efendi abgelenkt. Woher wußte ich,
daß er heute nacht die Geschichte vom Satan erzählen würde?
    Es drängte mich zu erklären:

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