Pamuk, Orhan
einer Straße der
irrtümlichen Wahrnehmung des menschlichen Auges gemäß so darstellt, als würden
sie zunehmend kleiner, wäre es dann nicht der Mensch, der an Allahs Statt im
Mittelpunkt des Universums steht? Allah der Allmächtige weiß dies besser. Ich
aber, der sich weigerte, den Menschen zu verehren, der aus diesem Grund viel
Schmerz und Einsamkeit erdulden mußte, von Allah verstoßen und mit Flüchen
bedacht wurde, ich denke, man hat nun begriffen, wie unsinnig der Vorwurf ist,
die Idee für diese Bilder könne von mir stammen. Da könnte man sogar noch eher glauben,
daß alle Kinder meinetwegen onanieren und daß ich jedermann zum Furzen bringe.
Ein letztes Wort möchte ich hierzu
noch sagen, doch ist es nicht für jene Leute bestimmt, deren Verstand stets von
der Neigung zum Großtun, ihren fleischlichen Gelüsten, ihrer Sucht nach Geld
und anderen unsinnigen Leidenschaften vernebelt wird! Nur Allah der Erhabene
mit seinem grenzenlosen Wissen wird mich verstehen: Hast Du nicht die Menschen
Hochmut gelehrt, als Du den Engeln auftrugst, sich vor ihnen zu verneigen? Und
jetzt tun sie, was sie von Deinen Engeln gelernt haben, verneigen sich vor sich
selbst und nehmen die Mitte des Universums für sich in Anspruch. Jeder, sogar
Deine treuesten Knechte, möchten nach Art der fränkischen Meister malen. Dieses
Sich-selbst-Bewundern wird sie bald dazu bringen, Dich zu vergessen, das weiß
ich so gut, wie ich mich selbst kenne. Darüber hinaus werden sie mir wieder die
ganze Schuld daran zuschieben, wenn sie Dich vergessen.
Wie kann ich euch erklären, daß mich
all dies nicht so bekümmert, wie ihr annehmt? Durch den Hinweis natürlich, daß
ich seit vielen Jahrhunderten trotz aller grausamen Steinigungen, Flüche und
Verdammungen heil und gesund auf den Füßen stehe. Wenn sich meine
oberflächlichen und wutentbrannten Feinde, die mich fortwährend verfluchen,
daran erinnern würden, daß Allah der Erhabene mir bis zum Jüngsten Tag zu
leben erlaubte, wäre es leichter für uns alle. Für sie aber beträgt die
Lebensspanne, die sie Allah abringen konnten, höchstens sechzig, siebzig
Jahre. Rate ich ihnen, trinkt wenigstens Kaffee und versucht, euer Leben damit
zu verlängern, dann weiß ich, daß manche sagen werden, wenn's der Teufel so
will, muß ich genau das Gegenteil tun, und sie werden niemals Kaffee trinken
oder sich womöglich auf den Kopf stellen und versuchen, den Kaffee in ihren
Hintern zu schütten.
Lacht nicht! Nicht der Inhalt der
Gedanken ist wichtig, sondern die Form. Nicht, was der Illustrator malt,
sondern sein Stil. Beides aber darf niemals deutlich werden. Ich wollte zuletzt
noch eine Liebesgeschichte erzählen, doch es ist spät geworden. Der
meisterliche meddah, der mir heute nacht seine Stimme lieh, versprach
mir, diese Liebesgeschichte nicht morgen, aber übermorgen, Mittwoch nacht, in
süßen Worten wiederzugeben, wenn er das Bildnis einer Frau an die Wand gehängt
hat.
48
Ich, Şeküre
Mein Vater ist mir im Traum erschienen,
er sprach zu mir, doch ich konnte ihn nicht verstehen, es war schrecklich, und
ich erwachte. Meine Söhne hielten mich an beiden Seiten fest umklammert, so daß
ich von ihrer Wärme ins Schwitzen geraten war. Şevket hatte seine Hand auf
meinen Leib gelegt und Orhan seinen schweißnassen Kopf an meine Brust. Doch es
gelang mir, ohne sie zu wecken aus dem Bett zu schlüpfen und das Zimmer zu
verlassen.
Ich ging über den Flur zu Karas
Zimmer und öffnete lautlos die Tür. Er selbst war nicht zu sehen im Schein des
Leuchters in meiner Hand, nur eine weiße Liegestatt, die sich mitten in dem
dunklen, kalten Raum wie eine verhüllte Leiche erstreckte.
Als ich die Hand weiter vorstreckte,
traf der rötlichgelbe Lichtschein Karas müdes, unrasiertes Gesicht und seine
bloßen Schultern. Ich trat noch näher heran. Er schlief gleich Orhan
zusammengeringelt wie eine Rollassel und trug den Ausdruck eines schlafenden
Mädchens auf seinem Gesicht.
»Das ist mein Ehemann«, sagte ich zu
mir selbst. Er schien so fern und fremd zu sein, daß mich Reue erfüllte. Hätte
ich einen Dolch zur Hand gehabt, so hätte ich ihn ermordet. Nicht etwa, daß ich
das wirklich wollte, sondern einfach nur – wie wir es alle in der Kindheit tun
–, weil ich überlegte: Was wäre, wenn du ihn töten würdest? Ich glaubte nicht
daran, daß er all die Jahre nur an mich gedacht hatte, glaubte auch nicht an
den kindlich unschuldigen Ausdruck auf seinem Gesicht.
Mit meinem nackten Fuß
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