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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Einkaufen auf den Markt zu schicken. Und Hasan
gab mir in jenen Tagen, während ich immer wieder zum Haus meines Vaters ging
und dort die Töpfe, Schüsseln und Tassen betrachtete und lange weinte und wir,
die Kinder und ich, fest aneinandergedrückt schliefen, keine Veranlassung,
anderen Sinnes zu werden. Da er kein Selbstvertrauen hatte und nicht glauben
mochte, daß ich imstande sei, ihn zu lieben, daß dies der einzige Weg zu einer
Ehe mit mir sein könnte, wurde er zudringlich. Er bedrängte mich einige Male,
versuchte, mich zu küssen und zu befingern, sagte, mein Mann werde niemals
zurückkommen, er werde mich töten, drohte mir, weinte wie ein Kind, und da er
durch seine Ungeduld und Hast der wahren, edlen Liebe, von der die Legenden
erzählen, keine Zeit zum Werden gönnte, wurde mir klar, daß eine Heirat mit ihm
für mich nicht in Frage kam.
    Als er eines Nachts die Tür zu
meinem Zimmer, wo ich mit den Kindern schlief, aufzubrechen versuchte, erhob
ich mich sofort und schrie, ohne auf die Angst der Kinder zu achten, so laut
ich konnte, böse Geister seien ins Haus gedrungen. Ich weckte meinen Schwiegervater
und stellte Hasan, dessen heftiges Verlangen noch nicht abgeklungen war, unter
Geschrei vor seinem Vater bloß. Aus all meinem sinnlosen Geheule und dem
ungereimten Gerede von Geistern kannte der kluge alte Mann die scheußliche
Wahrheit, daß sein Sohn bis zum Wahnsinn verliebt war und sich der Frau seines
anderen Sohnes, der Mutter zweier Kinder, auf unschickliche Weise genähert
hatte. Er sagte nichts, als ich erklärte, ich könne bis zum Morgen nicht mehr
schlafen und würde der Geister wegen mit meinen Söhnen vor der Tür im Freien
sitzen und warten. Und als ich in der Frühe verkündete, ich würde für längere
Zeit mit den Kindern in das Haus meines kranken Vaters zurückkehren, um ihn
dort zu betreuen, gab man sich geschlagen. Ich nahm die Andenken an mein
Eheleben, eine Uhr mit Läutwerk, die mein Mann mir aus dem Ungarn-Feldzug als
Beute mitgebracht und nicht verkauft hatte, die Peitsche aus den Sehnen des
rassigsten Araberpferdes, das elfenbeinerne Schachspiel aus Täbris, dessen
Figuren die Kinder für ihre Kriegsspiele benutzten, und die Silberleuchter, die
Kriegsbeute aus Nahcivan, um die ich hatte streiten müssen, als man sie verkaufen
wollte, und kehrte damit ins Vaterhaus zurück.
    Wie erwartet, wandelte sich Hasans
verbohrtes, respektloses Verlangen nach mir in eine hoffnungslose, doch
achtungsvolle Liebesglut, als ich das Haus meines verschollenen Ehemannes
verließ. Da er nicht mehr auf die Unterstützung seines Vaters rechnen konnte,
begann er nun, statt mir zu drohen, Liebesbriefe zu schicken, in deren Ecken
Vögel, Löwen mit tränenden Augen und trauernde Antilopen hockten. Sie
beweisen, auch wenn sie ein Freund mit Maler- und Dichterseele für ihn
geschrieben und ausgeschmückt haben sollte, eine reiche Welt der Phantasie, die
mir nicht aufgefallen war, als wir beide unter einem Dach wohnten, und ich kann
euch nicht verhehlen, daß ich sie neuerdings wieder lese. In den letzten
Briefen hatte Hasan geschrieben, er werde mich nicht zur Sklavin des Haushalts
machen, denn er habe jetzt viel Geld verdient. Deshalb, und seiner
respektvollen, zärtlichen und humorvollen Ausdrucksweise wegen, und wegen der
endlosen Streitereien und Ansprüche der Kinder und der Klagen meines Vaters
hatte mir der Kopf gedröhnt; und deshalb hatte ich den Fensterladen
aufgestoßen, um frischen Atem zu holen.
    Bevor Hayriye unser Abendessen auf
den Tisch brachte, bereitete ich für meinen Vater ein lauwarmes Getränk aus der
besten Dattelblüte Arabiens, gab einen Löffel Honig hinzu und verrührte es mit
etwas Zitronensaft, trat lautlos wie ein Geist an seine Seite, während er das Kitap-ur
Ruh – das »Buch der Seele« – las, und stellte das Getränk seinem Wunsch
gemäß vor ihn hin, ohne mich bemerkbar zu machen.
    »Schneit es?« fragte er mich mit
solch einer kummervollen, dünnen Stimme, daß ich sofort wußte, es würde der
letzte Schnee sein, den mein armer Vater zu sehen bekam.

10
  Ich bin ein Baum
    Ein Baum bin ich und bin sehr einsam. Wenn
es regnet, weine ich. Hört um Allahs Willen an, was ich zu euch zu sagen habe.
Trinkt euern Kaffee, vertreibt die Schläfrigkeit, öffnet die Augen, spitzt die
Ohren, und ich werde euch schildern, warum ich so einsam bin.
    1. Ich bin, behauptet man, eiligst auf grobes,
glanzloses Papier hingeworfen worden, damit hinter dem Meister- meddah das Bild

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