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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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und kam als »gute Nachricht« wieder zu mir zurück, und ich
glaubte sie als erste.
    Wir wohnten in einem gemieteten Haus
in Çarşıkapı, gemeinsam mit dem vom Leben vernachlässigten, doch
noblen Vater meines Mannes und seinem Bruder, der die gleichen grünen Augen
hatte wie er. Als mein Ehemann, des Hauses ganze Stütze, verschollen war,
gerieten wir in Bedrängnis. Mein Schwiegervater hatte das Spiegelgewerbe dank
der Reichtümer, die sein ältester Sohn von seinen ständigen Kriegszügen
heimbrachte, aufgegeben, kehrte nun aber im vorgerückten Alter zu dieser
Tätigkeit zurück. Hasan, mein lediger Schwager, spielte sich zunehmend als der
Mann im Hause auf, je mehr Geld er von seiner Beschäftigung beim Zoll nach
Hause brachte. In einem Winter befürchteten sie, die Miete nicht begleichen zu
können, brachten die Dienerin, welche die Hausarbeiten verrichtet hatte, in
höchster Eile zum Sklavenmarkt, verkauften sie und verlangten, daß ich von nun
an die Küchenarbeit, das Wäschewaschen und sogar den Einkauf auf dem Markt
besorgte. Ich fragte nicht, ob ich wohl die richtige Frau für solche Arbeiten
sei, sondern verschloß mein Herz und tat die Arbeit. Doch als mein Schwager
Hasan, der jetzt die Sklavin nachts in seinem Bett entbehren mußte, an meiner
Tür zu rütteln begann, wußte ich mir nicht mehr zu helfen.
    Ich hätte natürlich auf der Stelle
in das Haus meines Vaters zurückgehen können, doch dem Kadi gemäß war mein
Ehemann rechtlich noch am Leben, und wenn ich seinen Vater und Bruder erzürnte,
konnte man nicht nur mich und die Kinder mit Gewalt wieder zu ihnen bringen,
sondern dabei auch noch mich und meinen Vater, der mich aufnahm, bestrafen und
erniedrigen. Eigentlich hätte ich auf den Liebeswunsch Hasans eingehen können:
Mein Schwager, so fand ich, war menschlicher und vernünftiger als mein Ehemann
und war mir, wie ich wußte, leidenschaftlich zugetan. Tat ich dies jedoch ohne
reifliche Überlegung, dann wurde ich am Ende nicht seine Ehefrau, sondern nur – was Allah verhüte! – seine Konkubine. Denn Schwiegervater und Schwager waren
keineswegs bereit, vor dem Angesicht des Kadis den Tod meines Ehemannes zu
bestätigen, weil sie fürchteten, ich könnte mein Erbteil verlangen und mehr
noch, sie verlassen und mit den Kindern ins Vaterhaus heimkehren. Da mein Mann
für den Kadi noch nicht gestorben war, konnte ich Hasan natürlich nicht
ehelichen, aber auch niemand anders heiraten, und weil mich diese Lage an
jenes Haus und an mein Ehebündnis fesselte, war es den beiden lieber, daß mein
Mann als verschollen galt und diese unsichere Lage andauerte. Denn ihr dürft
nicht vergessen, daß ich für sie die Hausarbeit vom Kochen bis zum
Wäschewaschen verrichtete und einer von ihnen wahnsinnig in mich verliebt war.
    Eine Heirat mit Hasan wäre für ihn
und meinen Schwiegervater die beste Lösung gewesen, aber dazu mußte man sich
zunächst mit Zeugen einigen, mußte den Kadi überreden. Wenn die nächsten
Anverwandten meines Mannes, sein Vater und sein Bruder, ihr Einverständnis
gaben, wenn niemand mehr dagegen sprach, daß mein Mann zu den Toten zählte,
dann würde auch der Kadi für drei bis fünf Asper den falschen Zeugen Glauben
schenken, die beteuerten, die Leiche meines Mannes auf dem Schlachtfeld gesehen
zu haben. Das Schwierigste war, Hasan davon zu überzeugen, daß ich auch im
Witwenstand das Haus nicht verlassen, weder mein Erbteil noch eine Geldsumme
für die Heirat verlangen und, noch wichtiger, ihn auf eigenen Wunsch ehelichen
würde. Um sein Vertrauen in dieser Hinsicht zu gewinnen, mußte ich mit ihm
schlafen, das hatte ich längst begriffen, doch mußte ich dies auf ganz
überzeugende Weise tun, nicht weil ich die Auflösung des Ehebündnisses
wünschte, sondern weil ich in ihn verliebt war.
    Ich hätte mich in Hasan verlieben
können, wenn ich mir Mühe gegeben hätte. Er war acht Jahre jünger als mein
verschollener Mann, war wie ein Bruder für mich gewesen, wenn mein Mann sich zu
Hause aufhielt, und dieses Gefühl hatte mich ihm nähergebracht. Ich mochte
sein anspruchsloses, doch leidenschaftliches Wesen, die liebevolle Art, mit den
Kindern zu spielen, und den sehnsüchtigen Blick, den er mir manchmal wie ein
Verdurstender zuwarf, als sei ich ein Glas kalter Kirschensorbet. Doch ich
wußte auch, daß es mich große Mühe kosten würde, für jemanden Liebe zu
empfinden, dem es nichts ausmachte, mir das Wäschewaschen aufzutragen, mich wie
eine Dienerin, eine Sklavin zum

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