Pamuk, Orhan
schon der Husret
aus Erzurum mit dem Nusret aus Erzurum verwechselt wird, dann laßt mich euch
die Baumgeschichte vom schielenden Nedret Hodscha aus Sivas erzählen.
Jener schielende Nedret Hodscha aus
Sivas hatte nicht nur, wie man sagt, die Liebe zu schönen Knaben und die
Buchmalerei verflucht, sondern auch behauptet, der Kaffee sei Teufelswerk, und
wer ihn trinke, der fahre zur Hölle. Oh, du aus Sivas, hast du vergessen, wie
du mir diesen großen Ast verbogen hast? Ich werd's euch erzählen, doch schwört
mir, es niemandem weiterzusagen, denn Allah bewahre uns vor einer glatten
Verleumdung! Eines Morgens sah ich, daß ein – maşallah! – riesengroßer, schlanker Mann mit
Händen wie Löwenpranken und der oben genannte Hodscha auf diesen meinen Ast
kletterten, sich unter meinen dichten Blättern versteckten und es, verzeiht mir
bitte!, wie die wilden Tiere miteinander trieben. Während der Riese, der, wie
ich später begriff, der Satan war, es dem anderen besorgte, küßte er nicht nur
zärtlich dessen Ohr, sondern flüsterte ihm noch zu: »Kaffee ist Verbotenes,
Kaffee ist Sünde ...« Somit ist, wer den Kaffee für schädlich hält, nicht
einer, der den Geboten unseres schönen Glaubens, sondern denen des Satans
folgt.
Zuletzt werde ich noch von dem
fremdländischen Malern reden, als lehrreiches Beispiel für solche Ehrlosen, die
es jenen gleichtun möchten. Diese fremdländischen Meister malen jetzt die
Gesichter der Könige, Priester, Herren, ja sogar der Damen auf eine solche Art
und Weise, daß man das Bild dieser Person betrachten und sie auf der Straße
wiedererkennen kann. Ihre Weiber laufen ohnehin frei auf der Straße herum, und
den Rest könnt ihr euch denken. Als sei das nicht genug, treiben sie's noch
viel weiter. Ich meine nicht in der Zuhälterei, sondern in der Malerei.
Ein großer fremdländischer Meister
der Malerei erging sich mit einem anderen Großen der fremdländischen Malerei
auf einer Wiese, und sie redeten über die Meisterschaft und die Kunst. Dabei
gelangten sie an einen Wald, und der größere Meister der beiden sagte zu dem
anderen: »Im neuen Stil zu malen verlangt ein solches Geschick, daß der
wißbegierige Betrachter des Bildes, auf dem du einen Baum dieses Waldes
abgebildet hast, hierherkommt und, so er will, jenen Baum unter den anderen
herausfindet.«
Allah sei Dank, daß ich, das arme
Bild eines Baumes hier vor euren Augen, nicht nach dieser Denkungsart gemalt
wurde. Keineswegs weil ich befürchte, von sämtlichen Hunden Istanbuls für echt
gehalten und angepinkelt zu werden, falls man mich auf die fremdländische Art
abgebildet hätte. Nein, ich will kein Baum, will nur der Inbegriff eines Baumes
sein.
11
Mein Name ist Kara
Der zu später Stunde beginnende Schneefall hielt
bis zum Morgen an. Die ganze Nacht hindurch habe ich Şeküres Brief immer wieder gelesen. Es zog mich
hin zum Leuchter, während ich ungeduldig in dem leeren Zimmer des leeren Hauses
auf und ab ging, und mein Auge folgte im blassen, flackernden Kerzenlicht dem
zornig-delikaten Gezitter der Schrift meiner Geliebten, den krausen Windungen
von rechts nach links, den Purzelbäumen, die sie schlug, um mich zu täuschen.
Dann sah ich nochmals, wie sich plötzlich der Fensterladen auftat und ihr
Antlitz mit dem traurigen Lächeln vor mir erschien. Beim Anblick ihrer wirklichen
Züge waren im Nu all jene Gesichter vergessen, die ich im Lauf der letzten
sechs, sieben Jahre in stetem Wandel und mit zunehmend vollerem Kirschmund als Şeküre
in mir getragen hatte.
Irgendwann in der Nacht spielte mir
die Phantasie das Eheleben vor. Es gab keinen Zweifel an meiner Liebe in meinen
Traumbildern, auch nicht daran, daß sie erwidert wurde. Wir waren glücklich
und schlossen die Ehe, doch in einem Haus mit einer Treppe zersprang das Glück
meiner Träume in tausend Scherben. Ich konnte keine richtige Arbeit finden, und
mein Wort galt nichts im Streit mit meiner Ehefrau.
Als mir klar wurde, daß ich diese
dunklen Phantasien aus der Lektüre meiner frauenlosen Nächte in Arabien, aus
Gazzalis Ihya-i Ulum – »Wiederbelebung der Wissenschaften« – und jenem
die Nachteile der Ehe beschreibenden Abschnitt aufgelesen hatte, fiel mir jetzt
mitten in der Nacht wieder ein, daß den Vorteilen der Ehe auf den gleichen
Seiten viel mehr Raum gewidmet worden war. Aber trotz aller Anstrengung konnte
ich mich lediglich auf zwei der guten Dinge besinnen, obwohl ich sie so oft
gelesen hatte. Sobald ein Mann heiratete,
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