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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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den Büchern meines
Vaters, suche darin stets nach Frauen, nach den Schönen. Wenn auch selten, so
sind sie doch vorhanden, und sie blicken immer schüchtern, verschämt vor sich
hin, oder wenn's hoch kommt, schauen sie einander wie um Verzeihung bittend an.
Niemals heben sie den Kopf und blicken geradewegs in die Welt hinein wie die
Männer, die Krieger und die Sultane. Doch in billigen Büchern, die hastig
bebildert wurden, sind die Augen mancher Frauen infolge der Unaufmerksamkeit
des Malers nicht auf etwas anderes gerichtet, wie zum Beispiel einen Becher
oder auch den Geliebten, sondern direkt auf den Betrachter. Und immer überlege
ich, wer wohl der Leser ist, den sie anblicken.
    Wenn ich an die zweihundert Jahre
alten Bücher aus der Zeit der Timuriden denke, an die Bände, welche die
Ungläubigen mit Gold bezahlen und in ihre Länder mitnehmen, dann schaudere ich:
Vielleicht wird eines Tages jemand in so weiter Ferne dieser meiner Geschichte
zuhören. Ist es nicht der Wunsch, in die Bücher einzugehen, verteilen nicht alle
Sultane und Wesire an diejenigen, die über sie schreiben, die ihnen Bücher
widmen, Beutel voller Gold für dieses Schaudern? Wenn ich es spüre, möchte auch
ich wie die schönen Frauen, die mit einem Auge auf das Leben im Buch und mit
dem anderen Auge aus dem Buch hinausschauen, zu euch sprechen, die ihr mich wer
weiß in welchem fernen Ort und wer weiß in welcher fernen Zeit betrachten
werdet. Ich bin schön und klug, und es gefällt mir, wenn ihr mich betrachtet.
Und wenn ich hin und wieder lüge, so tue ich das nur, damit ihr, was mich
betrifft, nicht auf falsche Gedanken kommt.
    Ihr habt vielleicht schon bemerkt,
daß mein Vater mich sehr liebt. Drei Söhne sind ihm vor mir geboren worden,
doch Allah hat ihnen das Leben genommen, einem nach dem anderen, mich aber, das
Mädchen, hat er verschont. Vater umsorgt mich mit all seiner Liebe, doch habe
ich keinen Mann seiner Wahl geheiratet, sondern mich mit einem Spahi vermählt,
nach dem ich selbst Ausschau hielt und der mir gefiel. Wär's nach Vater
gegangen, hätte er mich nur an einen Mann vergeben, der sowohl der größte
Gelehrte war als auch ein Kenner der Buchmalerei und der Kunst, einen Mann mit
Macht und Einfluß und zudem noch steinreich. Da aber dergleichen nicht einmal
in seinen Büchern zu finden war, hätte ich jahrelang zu Hause sitzen und warten
können. Die blendende Erscheinung meines Mannes war in aller Munde, und ich
sah ihn plötzlich vor mir, als ich durch Mittelsleute Nachricht gesandt und
eine Gelegenheit gefunden hatte, ihn auf dem Rückweg vom Hamam zu treffen.
Seine Augen sprühten Feuer, und ich verliebte mich sofort in ihn. Er war schön
mit seinem dunklen Haar, der weißen Haut und den grünen Augen; er hatte starke
Arme, doch eigentlich war er immer still und arglos wie ein verschlafenes Kind.
Mag sein, weil er seine ganze Kraft in den Kriegen mit dem Töten von Menschen
und mit Beutemachen verbraucht hatte, kam es mir vor, als umgebe ihn ein Hauch
von Blutgeruch, doch zu Hause verhielt er sich sanft und ruhig. Mein Vater
wollte von diesem Mann, der nur ein armer Krieger war, zuerst nichts wissen,
billigte aber schließlich die Ehe, weil ich drohte, mich umzubringen. Nachdem
aber dieser Mann heldenhaft von einem Krieg zum anderen eilte, die größten
Taten vollbrachte und dafür ein Lehen im Wert von zehntausend Asper
zugesprochen bekam, wurden wir von allen beneidet.
    Als er vor vier Jahren nicht mit dem
Heer aus dem Safawiden-Krieg zurückkehrte, war ich zunächst nicht besorgt.
Denn je mehr er kämpfte, desto größer wurde seine Erfahrung, er konnte selbst
etwas unternehmen, brachte größere Beute zurück, erhielt ein größeres Lehen,
schulte mehr Soldaten. Es gab auch Zeugen dafür, daß er sich von der
Marschkolonne des Heeres getrennt hatte und mit seinen Männern in die Berge
geritten war. So hoffte ich zunächst auf seine Rückkehr, doch im Lauf zweier
Jahre gewöhnte ich mich allmählich an seine Abwesenheit, und als ich sah, wie
viele Kriegerfrauen in Istanbul lebten, deren Männer vermißt wurden, fand ich
mich ab mit meinem Los.
    In den Nächten haben wir uns, die
Kinder und ich, in unseren Betten in den Armen gehalten und geweint. Damit sie
aufhörten zu weinen, erfand ich eine Lüge, wie zum Beispiel, dieser oder jener
habe gesagt, ihr Vater komme noch vor dem Frühjahr zurück, und es gebe Beweise
dafür, und später gelangte meine Lüge aus ihrem Mund in anderer Leute Ohr,
wanderte herum

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