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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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bißchen nachdenken.
    Nachdem er mich zwölf Jahre später
so unverhofft erblickt hatte, bin ich dort am Fenster unter den rötlichen
Strahlen der Abendsonne eine Weile stehengeblieben und habe voll Staunen
hinausgeschaut, bis diese Strahlen den Garten erst in leichtes Karmesin und
dann in eine Pomeranzenfarbe tauchten und ich so richtig zu frieren begann.
Kein Lüftchen regte sich. Es scherte mich nicht, was man sagen würde, wenn mich
ein auf der Straße Vorübergehender oder mein Vater am offenen Fenster gesehen
hätte, oder auch wenn Kara umgekehrt und an mir vorbeigeritten wäre. Mesrure,
eine der Töchter Ziver Paschas, die nicht nur ständig lacht und vergnügt ist,
sondern auch das verblüffendste Wort im unmöglichsten Augenblick äußert, hat
einmal in dem Hamam, das ich jede Woche genüßlich aufsuche, zu mir gesagt, der
Mensch könne sogar seine eigenen Gedanken niemals ganz genau wissen. Und ich
meine: Manchmal sage ich etwas und begreife, daß ich es gedacht habe, während
ich es aussprach, doch sowie ich es begriffen habe, denke ich entschieden das
Gegenteil.
    Ich bedaure sehr, daß der arme Fein
Efendi ganz so wie mein Ehemann verschwunden ist. Er war einer der für Vater
tätigen Buchmaler, die ich alle einzeln beobachtet habe, was ich euch nicht
verhehlen kann, er war aber auch der häßlichste und unverständigste unter
ihnen.
    Ich schloß den Fensterladen, verließ
das Zimmer und ging hinunter zur Küche.
    »Mutter, Şevket hat nicht auf dich gehört«, sagte Orhan.
»Er ist aus der Küche gelaufen und hat Kara durch das Loch beobachtet, als der
sein Pferd aus dem Stall holte.«
    »Ja und?« sagte Şevket, den Mörserstößel in
der Hand. »Mutter hat ihn auch durch das Loch im Schrank beobachtet.«
    »Hayriye«, sagte ich, »du röstest
ihnen zum Abend Zuckerbrot mit zerstoßenen Mandeln in wenig Fett.«
    Orhan hüpfte auf und ab vor Freude, Şevket blieb still. Aber als
ich die Treppe hinaufstieg, liefen sie lärmend hinter mir her, schubsten sich
fröhlich und polterten an mir vorbei. »Langsam, langsam«, rief ich ihnen
lachend zu. »Ihr Lümmel!« Ich gab beiden einen liebevollen Klaps auf den
zarten Rücken.
    Wie schön es doch ist, gegen Abend
mit den Kindern daheim zu sein! Mein Vater hatte sich schweigend seinem Buch
gewidmet.
    »Euer Gast ist fort«, sagte ich. »Er
hat Euch hoffentlich nicht gelangweilt.«
    »Nein«, kam die Antwort, »er hat
mich unterhalten. Und er achtet seinen Oheim wie früher.«
    »Gut so.«
    »Doch er ist auch bedacht und ein
kühler Rechner.«
    Er hatte dies in einem Ton gesagt,
der Kara herabsetzte, nicht so sehr, um mein Verhalten zu prüfen, sondern um
das Thema zu beenden. Ein andermal hätte ich ihm mit spitzer Zunge eine
passende Antwort gegeben. Diesmal jedoch dachte ich an den Mann auf seinem
weißen Pferd und wie er weiterritt, und ich erschauerte.
    Wie es kam, weiß ich nicht, aber
schließlich befanden wir uns, Orhan und ich, im Schrankzimmer und umarmten
einander. Auch Şevket
drängte sich heran, und einen Augenblick rangelten die Kinder miteinander, ich
glaubte, sie würden zu streiten anfangen, doch da rollten wir schon alle
zusammen auf der Polsterbank herum. Ich hätschelte sie wie junge Hunde, küßte
ihren Nacken, ihr Haar, drückte sie an mein Herz und fühlte ihr Gewicht auf
meinen Brüsten.
    »Och«, sagte ich, »wie eure Haare
riechen. Morgen geht ihr mit Hayriye ins Hamam.«
    Şevket meinte: »Ich mag nicht mehr
mit Hayriye ins Hamam gehen!«
    So fragte ich: »Bist du schon
erwachsen geworden?«
    Und Şevket darauf: »Warum hast du dieses schöne
purpurfarbene Hemd angezogen, Mutter?«
    Ich ging hinüber ins hintere Zimmer,
zog das purpurfarbene Hemd aus und schlüpfte in das blaßgrüne, das ich für
gewöhnlich trage. Ich fror beim Umziehen und mir schauderte, doch meine Haut
glühte fiebrig, mehr noch, ich spürte die lebendige Kraft meines Körpers. Ich
hatte ein wenig Wangenrot aufgelegt, das beim Gerangel mit den Kindern
verschmiert worden war, doch ich spuckte in meine Handfläche und verrieb es
wieder gleichmäßig. Wißt ihr, daß jeder, der mich sieht, all meine nahen und
fernen Verwandten und die Frauen, die ich im Hamam treffe, meinen, ich gliche
mehr einem Mädchen von sechzehn Jahren als einer reifen Frau von vierundzwanzig,
die zwei Kinder hat? Ich möchte, daß auch ihr ihnen glaubt, versteht ihr? Sonst
werde ich nichts erzählen.
    Es soll euch nicht wundern, daß ich
mit euch rede. Seit Jahren betrachte ich die Bilder in

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