Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
aufhält.«
»Warum willst du das wissen?«
»Ich muss ihn aufhalten.«
Das war genau die Antwort, die Lucien befürchtet hatte. »Warum gehst du nicht zu seinem Seelenhaus? Sprich mit ihm, wenn er das nächste Mal träumt. Sag ihm, dass es falsch ist, was er tut.«
»Sein Seelenhaus ist leer. Er weiß, dass ich ihn suche. Er hat irgendetwas unternommen, dass er nicht mehr träumt.«
»Dann rede hier mit ihm.«
»Nein. Die Träume sind bedroht wie nie zuvor. Eine solche Gefahr lässt sich nicht mit guten Worten aus der Welt schaffen.«
»Was heißt das? Willst du ihn töten?«
Aziels Schweigen war Antwort genug.
»Das kannst du nicht tun«, sagte Lucien. »Bei allen Höllen, Aziel, er ist nur ein Junge!«
»Ein Junge mit mehr Macht, als einem Sterblichen zusteht.«
»Dafür kann er nichts.«
Der einstige Albenkönig wandte sich ab und machte eine herrische Geste, die das ganze Haus einschloss. »Es ist wegen dieser Frau, nicht wahr?«, bellte er. »Du bist so vernarrt in die Menschen, dass du blind geworden bist. Blind für ihre Machtgier und Bosheit.«
»Caitlin war nicht boshaft.«
»Sie ist seit zweihundert Jahren tot! Komm endlich darüber hinweg!«
»Hundertfünfzig«, sagte Lucien. »Es ist erst hundertfünfzig Jahre her.«
Aziels Augen verengten sich zu Schlitzen. »Na schön, Lucien, ich frage dich ein letztes Mal: Wo im Palast ist der Junge?«
Lucien schwieg.
»Du verweigerst mir deine Hilfe?«
»Ja.«
»Dann betrachte ich dich nicht länger als Freund.« Aziel schritt durch die Halle und befahl den Vílen mit einer Handbewegung, ihm zu folgen.
»Wohin gehst du?«
»Den Jungen suchen. Ich finde ihn auch ohne dich.«
Lucien bemerkte, dass sich Seth nicht von der Stelle rührte. »Was ist mit ihm?«
»Er wird hierbleiben und dich im Auge behalten, bis alles überstanden ist.«
»Du setzt mich gefangen? In meinem eigenen Haus?«
»Du lässt mir keine andere Wahl. Seth, sieh zu, dass er nicht versucht zu fliehen.«
Der Incubus richtete den Blick seiner glühenden Augen auf Lucien. Flammen züngelten aus dem Boden. Sie bildeten einen Kreis, der Lucien einzuschließen begann.
»Aziel!«, schrie er. »Du verdammter Bastard, komm sofort zurück!«
Doch Aziel wandte sich nicht um, während er mit den Vílen zum Flur ging.
Die Flammen reichten Lucien bereits bis zu den Knien und wuchsen weiter in die Höhe. Die Hitze raubte ihm schier den Atem, sodass er husten musste.
Seth lächelte dünn. »Das bisschen Feuer macht dir schon zu schaffen? Und du wolltest mich ins Pandæmonium zurückschicken?«
Lucien kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen gegen Schmerzen und Schwäche an. »Inzwischen reicht es mir, dir wehzutun«, ächzte er.
»Ach ja? Wie denn?«
Der Wurfdolch bohrte sich in Seths Oberarm. Der Incubus taumelte zurück und glotzte ihn ungläubig an, bevor sich sein Gesicht in eine Fratze des Hasses verwandelte. Als er den Messerschaft packte, um die Klinge aus der Wunde zu ziehen, sprang Lucien über die Flammen und rammte ihm den Kopf in den Bauch. Seth prallte gegen einen Schrank und keuchte vor Schmerz. Lucien beförderte ihn mit einem Faustschlag zu Boden, setzte mit einem Sprung über den benommenen Halbdämon
hinweg, rannte durch die Halle und klopfte im Laufen die Flammen aus, die an seinem Hosenbein leckten.
Alles war so schnell gegangen, dass Aziel erst jetzt bemerkte, was geschah. »Haltet ihn auf!«, dröhnte er, woraufhin die bleichen Zwillinge ihre krallenartigen Hände nach Lucien ausstreckten. Er schlug einen Haken, stieß einer Víla den Ellbogen ins Gesicht, dann war der Weg frei. Lucien hastete zur Treppe und nahm mit jedem Schritt mehrere Stufen auf einmal, während er nach unten rannte.
Er musste in die Katakomben fliehen. Nur dort hatte er eine Chance zu entkommen.
»Bleib stehen!«, brüllte Aziel ihm nach. »Was du tust, ist Verrat!«
Lucien erreichte den Keller, wo sich in den Gewölbekammern leere Weinfässer und Kisten voll mit Erinnerungsstücken auftürmten. Er schlüpfte durch die Tür, die die Vílen bei ihrem Eindringen zertrümmert hatten, und hetzte den dunklen Tunnel entlang. Als er kurz darauf zu einer Kreuzung kam, entschied er sich nach kurzem Zögern, nach Süden zu laufen. Dem Jungen würde es nicht helfen, dass Aziel nicht wusste, wo er sich aufhielt. Aziel würde seine Präsenz spüren, sowie er den Palast betrat, und ihn daraufhin mühelos finden. Lucien musste ihn warnen.
Ihm fiel ein, dass er kein javva mehr hatte. Ohne das
Weitere Kostenlose Bücher