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Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer

Titel: Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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alter Dachstuhl am Flussufer explodierte regelrecht, als er getroffen wurde. Flammen züngelten aus dem Gebälk und griffen auf die Nachbarhäuser über.
    Es war furchterregend anzuschauen, wie das Unwetter über der Stadt tobte, aber Liam verspürte keine Angst. Jeden Blitz, der in den Mast einschlug, begrüßte er mit einem freudigen Schrei, bevor er den Hebel umlegte und einen weiteren Behälter füllte. Bald schon waren alle Rauchglasröhren voll, sodass er nach unten laufen und Nachschub holen musste.
    Dieses Gewitter war eine Goldgrube, der Traum aller Blitzhändler. Was war nur los mit seinem Vater, dass er sich solch eine Nacht entgehen ließ?

4
    Die stummen Zwillinge
    R egen klatschte gegen die vergitterten Fenster und bildete wässrige Schlieren auf den Bleiglasscheiben. Blitze flackerten über den schwarzen Dächern und Kaminen, gefolgt von Donnergrollen.
    Der Mann stellte den Kupferleuchter auf die Kommode und forderte Jackon mit einer Geste auf, vor den Spiegel zu treten. Jackon tat wie geheißen und begutachtete skeptisch sein Spiegelbild. An die ledernen Halbstiefel, die Leinenhose und das weiße Hemd hatte er sich inzwischen gewöhnt, obwohl er sich manchmal noch wie nackt darin fühlte, so leicht und fein waren diese neuen Kleider, verglichen mit seinen alten Lumpen. Auch dass die Schmutzschicht, die zeit seines Lebens jede Stelle seines Körpers bedeckt hatte, verschwunden war, war eine klare Verbesserung.
    Der neue Haarschnitt jedoch … nein. Er sah damit überhaupt nicht mehr aus wie er selbst. Alles war so schrecklich kurz. Keine Fransen mehr, die ihm ins Gesicht hingen. Keine borstigen Locken und Zotteln im Nacken. Sein rotes Haar war sauber gescheitelt und glänzte obendrein vor Pomade.
    Jackon verzog den Mund. Nein, daran würde er sich niemals gewöhnen. »Du scheinst ja sehr zufrieden mit dir zu sein, was?«
    Der Mann nickte.
    »Verrätst du mir auch den Anlass? Du hast mich doch bestimmt
nicht nur für dich und deinen Bruder herausgeputzt, oder?«
    Er bekam keine Antwort, natürlich nicht - der Mann besaß keine Zunge mehr, genau wie sein Zwillingsbruder. Mit einem Blitzen in den Augen, möglicherweise ein Lächeln, nahm er den Leuchter an sich. Dann verabschiedete er sich, indem er Jackon zunickte, und schloss die Tür hinter sich.
    Jackon seufzte, setzte sich aufs Bett und blickte aus dem Fenster. Niedergeschlagenheit überkam ihn.
    Es war nicht so, dass es ihm in diesem Haus schlecht erging. Ganz im Gegenteil, eigentlich hatte er noch nie so gut gelebt. Er bewohnte ein eigenes Zimmer mit einem bequemen Bett und zwei Truhen voller Kleider - geradezu luxuriös, verglichen mit seinem Unterschlupf in den Kanälen. Er konnte einen Waschraum benutzen, wo es fließendes Wasser gab. Die stummen Zwillinge behandelten ihn gut und erfüllten ihm im Rahmen ihrer Möglichkeiten jeden Wunsch. Und essen konnte er, so viel er wollte: Im Erdgeschoss befand sich eine Vorratskammer voll mit Brot, Hartwurst, Pökelfleisch, Kartoffeln, Bohnen, Milch, Ale und vielen anderen Nahrungsmitteln, darunter einige, die er nie zuvor gekostet hatte, Kaffee beispielsweise. Jeden Tag aß er sich satt. Er hatte schon ganz vergessen, wie es sich anfühlte, Hunger zu haben. Sogar zugenommen hatte er.
    Es gab nur einen einzigen Haken: Er durfte das Haus nicht verlassen.
    Nicht, dass er es nicht versucht hätte. In den ersten Tagen hatte er jeden erdenklichen Fluchtweg ausprobiert. Doch es erwies sich rasch als aussichtslos. Schmiedeeiserne Gitter befanden sich vor sämtlichen Fenstern. Die einzige Tür war Tag und Nacht abgeschlossen und bestand obendrein aus massivem Holz. Geöffnet wurde sie nie, denn alles, was er und die stummen Zwillinge benötigten, war im Haus im Überfluss vorhanden. Und wenn er sich einmal nicht in seinem Zimmer aufhielt,
ließen ihn die Zwillinge, die sich mit Schlafen abwechselten, nicht aus den Augen. Also hatte er sich in sein Schicksal gefügt und versucht, dieses seltsame Leben zu genießen. Anfangs war ihm das sogar gelungen. Allmählich jedoch stellte sich quälende Langeweile ein.
    Er betrachtete die Kerben am Bettpfosten. Neunzehn Stück. Neunzehn Tage. So lange war er jetzt hier. Und es gab nicht das Geringste zu tun. Ein wohlmeinender Mensch hatte diesen Umstand berücksichtigt und ein Regal mit Büchern in seiner Kammer aufgestellt. Leider konnte er nicht lesen.
    Wenn er wenigstens gewusst hätte, weswegen man ihn festhielt … Aber er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie er

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