Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
wohin sie fuhren. Diese Gegend war ihm so fremd, dass es genauso gut eine andere Stadt hätte sein können.
Irgendwann kamen sie zu einem schmiedeeisernen Tor, das zwei schemenhafte Gestalten für sie öffneten. Kurz darauf stiegen Jackon und seine beiden Begleiter aus. Sie befanden sich auf einem kleinen Hügel. Bäume und Hecken säumten den Weg und bogen sich im Wind; vor ihm erhob sich ein Palast. Er war nicht sehr groß, jedoch überaus verwinkelt. In einigen Erkerfenstern brannte Licht. Trotz Regen und Dunkelheit glaubte Jackon, Krähen zu sehen, Dutzende, Hunderte, die auf Dachfirsten und Turmspitzen hockten.
Alles in ihm schrie nach Flucht, doch bevor er auch nur einen konkreten Gedanken fassen konnte, packte ihn die Frau am Nacken und schob ihn unsanft den Weg entlang.
»Du kannst nirgendwo hin«, sagte sie. »Also versuch es gar nicht erst.«
Auf der breiten Treppe des Anwesens standen zwei Wächter in schwarzen Kutten, die die Pforte öffneten. Glitzernde Masken verbargen die Gesichter in den Kapuzen. Jackon wurde klar, wen er vor sich hatte: Spiegelmänner. Seine Knie wurden weich.
Drinnen ließ die Frau ihn los. Sie und der Krähenmann nahmen ihn in die Mitte, während sie die Eingangshalle durchquerten. Auf den Galerien standen weitere Spiegelmänner, reglos wie Statuen. Durchgänge und Treppenfluchten verloren sich im Halbdunkel. Grüne Lampen schimmerten trüb in den Nischen wie Irrlichter in unterirdischen Kavernen. Man führte ihn durch Flure und Korridore, wo aufleuchtende Blitze die Schatten der Fenstergitter an die Wände warfen. Niemand begegnete ihnen. Der Palast war so still wie ein Mausoleum.
Schließlich betraten sie einen gewaltigen Saal. Hoch über Jackons Kopf spannte sich eine Kuppel aus Glas und Eisen, auf die der Regen niederprasselte. Irgendwo glühte blaues Licht, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte. Es ging in tiefe Schatten über, in denen sich Säulen, steinerne Gesichter
und Treppenaufgänge verbargen. Etwas war nicht so, wie es sein sollte, während sie über den Marmorboden gingen: Ihre Schritte hallten nicht - als würde das seltsame Licht jedes laute Geräusch in sich aufsaugen.
»Geh«, befahl die Frau. »Sie erwartet dich bereits. Und denk daran, was ich gesagt habe: Versuch dich zu benehmen.«
Wie von fremden Kräften gelenkt ging Jackon tiefer in den Saal hinein, langsam, Schritt für Schritt. Seine Hände waren feucht, und er ballte sie zu Fäusten.
Als eine Frau aus den Schatten trat, blieb er stehen.
Es war das erste Mal, dass er Lady Sarka sah. Nie hätte er gedacht, dass sie so schön wäre. Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid aus einem Stoff, der wie geschmolzenes Silber über ihren Leib floss, dazu feine Schuhe, die unter dem Saum hervorlugten. Ihr Gesicht war ebenmäßig und vollkommen. Zwei Locken ihres hochgesteckten blonden Haares fielen ihr auf die Wangen.
Sie lächelte warm. »Jackon«, sagte sie. »Wie schön, dass du endlich da bist.«
In seiner Ehrfurcht wagte er nicht, sich zu bewegen. Dann fiel ihm ein, was die rothaarige Frau gesagt hatte, und er verneigte sich unbeholfen.
»Du musst mir verzeihen, dass du so lange bei Wellcott und Kendrick bleiben musstest. Aber die Zeit war noch nicht reif, dass wir uns begegnen.«
Sprach sie von den stummen Zwillingen? Die Namen der beiden hatte er nie erfahren.
»Haben sie sich gut um dich gekümmert?«
Es dauerte einen Moment, bis Jackon seine Stimme wiederfand. »Sie waren sehr freundlich zu mir«, antwortete er so atemlos, dass er sich beinahe verhaspelte.
»Ja, das sind sie. Ich wusste, bei ihnen würdest du in guten Händen sein. Lass dich anschauen«, meinte Lady Sarka
und ging um ihn herum. »Gut siehst du aus. Nicht mehr so schrecklich dürr wie noch vor drei Wochen. Corvas hat mir erzählt, dass du völlig abgemagert warst, als er dich fand.«
»Corvas?«, fragte er alarmiert.
»Ich hoffe, sein plötzliches Auftauchen hat dich nicht zu sehr erschreckt. Leider sah er keinen anderen Weg, als dich zu betäuben. Er fürchtete, du würdest fliehen, wenn er sich dir zu erkennen gäbe.«
Jackon warf einen verstohlenen Blick zu den beiden schattenhaften Gestalten, die ihn hergebracht hatten. Der Krähenmann war also kein anderer als Lady Sarkas rechte Hand, das Oberhaupt ihrer Geheimpolizei, der Anführer der grausamen Spiegelmänner. Beinahe war er froh, dass er dies erst jetzt erfuhr. Sonst wäre er in der Kutsche vermutlich vor Angst gestorben.
»Er war eine Krähe!«, platzte es aus
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