Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
warum du hier bist, sagst du, du warst vorher Erntehelfer
bei einem Plantagenbesitzer, und die Herrin hat dich holen lassen, damit du für sie arbeitest. Hast du das verstanden?«
»Ja«, sagte Jackon.
»Zweitens, du sprichst mit niemandem über deine Gabe, auch nicht mit den Bediensteten im Palast. Nur mit der Herrin und mir, klar? Niemand darf wissen, dass du hier bist.«
»Warum nicht?«
»Drittens«, knurrte Umbra, »du hörst auf, mich zu löchern.«
Im Schatten des Palasts folgten sie einem Pfad aus verwitterten Steinplatten. Der Garten stellte eine kleine Insel inmitten der Altstadt dar, umgeben von einer Mauer mit rostigen Dornen auf der Krone. Efeu rankte sich an steinernen Mantikoren und Harpyien empor. Fliederblüten schwebten durch die laue Luft, Kirschbäume krümmten sich unter der Last ihrer eigenen Größe wie bucklige Greise. Obwohl es fast Mittag war, verloren sich weite Teile des Gartens in grünlichem Zwielicht, als läge eine Glocke aus ewiger Dämmerung über dem Anwesen, gegen die selbst die wärmsten Sonnenstrahlen nichts ausrichten konnten.
Sie durchquerten einen kleinen Hain aus Apfelbäumen und kamen zu einer Buchsbaumhecke, die sich mannshoch über die gesamte Wiese erstreckte. Verschlungene Pfade führten ins Innere, begrenzt von undurchdringlichen Wänden aus Ästen, Zweigen und Blättern. Jackon konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Die Hecke bildete ein Labyrinth, ähnlich den Tunneln unter der Grambeuge. So etwas hatte er noch nie gesehen.
Umbra blieb vor einem der Eingänge des Irrgartens stehen. »Der Gärtner heißt Ibbott Hume«, erklärte sie. »Von nun an arbeitest du für ihn, also tu, was er sagt.«
»Aber ich verstehe nichts von Gartenarbeit«, erwiderte Jackon.
»Man muss nicht gerade ein Genie sein, um den Rasen zu mähen. Jetzt geh schon.«
Der Gärtner schien sich irgendwo im Innern des Labyrinths aufzuhalten - Jackon konnte das Klappern einer Heckenschere hören. Als er gerade durch den Eingang treten wollte, fiel ihm noch etwas ein. Er wandte sich um.
»Wie viel Lohn bekomme …« Jackon verstummte.
Umbra war verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
7
Abschied
L iam wusste nicht, wie lange er bereits neben seinem Vater saß. Stunden, vielleicht Tage. Die Zeit hatte jede Bedeutung für ihn verloren. Von fern erklang das geschäftige Treiben Scotias. Das Licht der Abendsonne sickerte durch die Fensterläden, warm und golden und viel zu schön für diesen Tag.
Seine Tränen waren längst versiegt. Er kauerte auf dem Steinboden, die Hände zu Fäusten geballt, und betrachtete das vertraute Gesicht und die Augen, die ins Nichts starrten. Manchmal erschien ihm der Anblick seltsam unwirklich, und er fragte sich, ob er all das nur träumte. Ja , dachte er dann, natürlich; es muss ein Traum sein. Spiegelmänner, die plötzlich auftauchen und Vater ermorden - einfach lächerlich. In solchen Momenten überkam ihn jähe Euphorie, und er rechnete damit, wie jeden Morgen in seinem Bett aufzuwachen, geweckt von den Geräuschen seines Vaters, der seit Sonnenaufgang in der Sternwarte werkelte.
Doch er wachte nicht auf. Wie er hier saß, neben der Leiche und all dem Blut, das war kein Traum. Er ist tot. Er wird nie wieder aufstehen, lachen, Blitze fangen. Und immer, wenn Liam das dachte, wich die Euphorie einer alles verzehrenden Leere, woraufhin er sich noch einsamer fühlte als zuvor.
Wenn er ihn wenigstens begraben könnte … Aber er durfte seinen Vater nicht anrühren, durfte ihm nicht einmal die Augen schließen. Bei Nacht würden die Spiegelmänner wiederkommen
und die Leiche holen, und wenn sie dann nicht genauso daläge, wie sie sie zurückgelassen hatten, würden sie wissen, dass jemand bei ihm gewesen war. Von da an wäre Liams Leben in Gefahr, und Fellyn Satander hätte seines umsonst geopfert.
Wieso hatte er sterben müssen? Welche Geheimnisse hatte er gehütet, dass der schreckliche Corvas auf ihn aufmerksam geworden war? Liam wünschte, sein Vater hätte mit ihm gesprochen, hätte ihn eingeweiht oder wenigstens einen Teil seiner Absichten preisgegeben. Doch was auch immer er gewusst oder erfahren hatte, es war mit ihm gestorben, und Liam blieben nichts als ein paar rätselhafte Andeutungen.
Nestor Quindal … das Gelbe Buch von Yaro D’ar … Von solch einem Buch hatte er noch nie gehört. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sein Vater den berühmten Erfinder persönlich gekannt hatte.
Er durfte nicht hierbleiben. Er musste
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