Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
sich um Umbra, die Leibwächterin der Lady und neben Corvas einer ihrer wichtigsten Diener.
»Nestor«, sagte Lady Sarka mit einem warmen Lächeln. »Was für eine angenehme Überraschung. Ich rechne schon gar nicht mehr damit, dir außerhalb deiner Werkstatt zu begegnen. Verlässt du sie überhaupt noch?«
»Kaum, Euer Gnaden«, erwiderte der Erfinder. »Meine Arbeit beansprucht mich zu sehr.«
»Dein Pflichteifer ist vorbildlich. Oder sollte ich Besessenheit sagen?«
»Ich lebe eben für die Wissenschaft.«
»Was würde Bradost nur ohne dich anfangen? Es gäbe keine Luftschiffe, keine Gaslampen, keine Aethermaschinen. Wir wären immer noch im Altertum.«
»Ich glaube, Ihr überschätzt meinen Anteil am Fortschritt, Euer Gnaden.«
»Sei nicht so bescheiden, Nestor. Wir alle wissen, was du für unsere Stadt getan hast. Wer ist der Junge?«
Liam war, als bemerke die Lady ihn erst jetzt. Ehrfürchtig senkte er den Blick.
»Liam Hugnall, mein Großneffe aus Torle«, stellte Quindal ihn vor. »Seinetwegen bin ich hier.«
»Ich wusste gar nicht, dass du Familie im fernen Torle hast«, sagte die Lady, während sie Liam musterte.
»Ein entfernter Zweig väterlicherseits, zu dem ich bisher kaum Kontakt hatte. Doch jetzt sind Liams Eltern gestorben, und ich musste ihn bei mir aufnehmen.«
»Deine Eltern sind gestorben?«, erkundigte sich Lady Sarka freundlich. »Darf ich fragen, woran?«
»Die Cholera«, antwortete Liam scheu.
»Ich habe davon gehört. Die dritte Welle in fünf Jahren, nicht wahr? Ich frage mich, wann unsere Nachbarn endlich
etwas gegen die katastrophalen Zustände in ihren Städten unternehmen.«
»Ich bin Liams letzter lebender Verwandter«, fuhr Quindal fort. »Es wird also das Beste sein, wenn er vorerst in Bradost bleibt.«
Die Lady nickte. »Du kannst dich glücklich schätzen, einen so berühmten Großonkel zu haben.«
»Ja«, murmelte Liam.
»Was kann ich also für dich tun?«, wandte sie sich an Quindal.
»Ich habe gehofft, Ihr könntet dem Jungen Arbeit geben, wenn Ihr mir die Direktheit gestattet.«
»Kann er nicht in deiner Werkstatt arbeiten?«
Liam zuckte innerlich zusammen. Natürlich! Was die Lady vorschlug, war mehr als offensichtlich. Wieso hatten sie das nicht bedacht?
Glücklicherweise hatte Quindal die passende Erklärung parat: »Das habe ich bereits versucht. Aber ich fürchte, er ist für diese Art von Arbeit einfach nicht geschaffen.«
»Was hast du denn in Torle gemacht?«, sprach die Lady Liam an.
Seine Gedanken überschlugen sich schier, als er versuchte, eine Antwort zu finden, die zu seinen Plänen passte. Abermals kam ihm der Erfinder zuvor:
»Er war Hausdiener und Gärtner bei einem Seidenhändler.«
»Gärtner«, wiederholte Lady Sarka. »Nun, er könnte in den Gärten meines Palastes arbeiten, wenn er möchte.«
»Das würdet Ihr für ihn tun?«, erwiderte Quindal. »Ich danke Euch, Euer Gnaden. Ihr erweist mir damit eine große Ehre.«
»Das ist selbstverständlich, Nestor. Bradost steht so tief in deiner Schuld, dass ich gar nicht genug für deine Familie tun kann.«
»Du hast Ihre Gnaden gehört, Junge«, flüsterte Quindal. »Zeig ihr gefälligst deinen Respekt!«
Liam verneigte sich erneut und murmelte, er nehme das Angebot dankbar an.
»Herrin«, mischte sich Umbra ein. »Brauchen wir wirklich noch einen Gärtner? Wir haben doch gerade erst den anderen Jungen eingestellt.«
»Na und? Hume liegt mir seit Jahren in den Ohren, er brauche noch mindestens zwei Hilfskräfte.« Lächelnd wandte sich die Lady Liam zu. »Du kannst sofort anfangen. Einer meiner Diener, Jocelyn, wird dich zu meinem Anwesen bringen.«
Kurz darauf verließen sie das Zimmer. Liams Herz pochte so heftig, dass er fürchtete, es könnte jeden Moment zerspringen. Er hatte es tatsächlich geschafft! Dank Quindal war es nicht einmal besonders schwer gewesen.
Als sie zur Eingangshalle kamen, sagte der Erfinder leise: »Der erste Schritt ist getan. Alles Weitere liegt bei dir. Viel Glück.«
Nachdem Quindal sich verabschiedet hatte, blieb Liam in der Halle zurück und wartete auf Jocelyn. Wenig später tauchte der Diener auf und stieg mit ihm draußen in eine Droschke ein. Während der kurzen Fahrt durch die Altstadt sprach Jocelyn nur das Nötigste mit ihm - offensichtlich hielt er es für unter seiner Würde, mit einem Hilfsgärtner zu reden, mochte dieser auch ein Verwandter des berühmten Erfinders sein.
Lady Sarkas Anwesen stand auf einem Hügel und war von einem
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