Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
wünschte, dies wäre ein Traum. Im Traum müsste er nur mit den Fingern schnippen, und alles wäre so, wie es sein sollte. Es gäbe kein Buch, keinen sinnlosen Hass, und Liam und er säßen in der Sonne unter den Bäumen und würden sich lachend an ihre Abenteuer in den Kanälen erinnern. Aber dies war die Wachwelt, und es gab nichts, das er tun konnte.
Nichts.
Energisches Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken.
»Mach die verdammte Tür auf, Jackon!«, befahl Lady Sarka.
Seufzend fragte er sich, was jetzt wieder geschehen war. Er zog ein frisches Wams und trockene Hosen an und schloss auf. Lady Sarka rauschte an ihm vorbei ins Zimmer.
»Wo warst du heute Morgen?«, fuhr sie ihn an.
Jackon erstarrte innerlich. Konnte es sein, dass sie davon wusste? Er war doch so vorsichtig gewesen. »Na, hier«, antwortete er und spielte den Ahnungslosen.
»Lüg mich nicht an! Ich habe gesehen, dass du den Palast verlassen hast.«
»Ich konnte nicht schlafen und habe einen Spaziergang gemacht. « Er zuckte mit den Achseln. »Mache ich manchmal.«
»Zum Kessel? Bei strömendem Regen?«
»Wer hat Euch gesagt, dass ich im Kessel gewesen bin?«
»Eine von Corvas’ Krähen.«
Ihm war, als setze sein Herz einen Schlag aus. »Ihr … lasst mich beobachten?«
»Für wie dumm hältst du mich?«, fragte Lady Sarka, und ihre Augen glitzerten wie Eiskristalle. »Hast du wirklich gedacht, du könntest mich hintergehen?«
»Ich habe Euch nicht …«
»Du bist ein lausiger Lügner«, unterbrach sie ihn scharf. »Gestern Abend, als es dir angeblich so schlecht ging, dass du dich hinlegen musstest – da bist du doch zum Seelenhaus deines Freundes gegangen, richtig? Wie lange verheimlichst du mir schon, dass er wieder träumt?«
Jackon öffnete den Mund, aber seine Stimme versagte ihm ihren Dienst. »Ihr … wart dort?«, brachte er schließlich hervor.
»Nein. Aber ich habe es in deinen Augen gesehen. Ich kann in dir lesen wie in einem offenen Buch, falls du es noch nicht gemerkt hast.«
Er fürchtete, seine Knie könnten unter ihm nachgeben. Langsam sank er in den Sessel.
»Wie lange?«, wiederholte sie.
»Ich wollte Euch nicht belügen, Herrin«, stammelte er. »Es ist nur so, dass ich … Liam und ich sind … ich meine … Ich dachte, ich müsste etwas unternehmen, und da …«
»Hast du ihn gewarnt, damit er sich rechtzeitig in Sicherheit bringen kann.«
»Nein! So war es nicht. Wirklich!«
»Wieso hast du dich dann mit ihm in der Gießerei getroffen? «
»Gießerei?«, echote er schwach.
»Die Krähe hat gesehen, wie er kurz nach dir das Gebäude verlassen hat«, sagte die Lady.
Jackon schluckte. Es hatte keinen Sinn, es abzustreiten. Sie wusste alles. Er verspürte ein seltsames Ziehen, das in der Nackengegend begann und sich bis unter seine Schädeldecke fortpflanzte. Wurde er jetzt ohnmächtig? Vielleicht wäre das am besten.
»Also, was habt ihr dort getrieben?«
»Nichts. Nur geredet. Ich wollte ihn dazu bringen, sich zu stellen und das Buch zurückzugeben. Aber das wollte er nicht. Wir haben uns gestritten, und dann bin ich gegangen.«
»Weswegen habt ihr gestritten?«
»Er wollte mich überreden, Euch zu verraten.«
»Aber das hast du abgelehnt.«
»Natürlich.«
»War das alles?«
Angestrengt versuchte Jackon, sich an das Gespräch zu erinnern. Seine Gedanken wirbelten so wild durcheinander, dass es ihm kaum gelang, einen davon festzuhalten. »Liam hat komische Sachen gesagt. Dass durch das Durcheinander in den Träumen irgendwelche Mauern zusammenbrechen und es bald überall von Dämonen wimmelt. Und dass man Euch aufhalten müsste, um das zu verhindern.«
»Welche Mauern?«
»Die des Pandæmoniums.«
»Diesen Unsinn hast du geglaubt?«
»Nicht so richtig.« Er befeuchtete seine Lippen. »Ist es denn Unsinn?«
Lady Sarka gab keine Antwort. »Und danach bist du einfach gegangen?«
Er nickte.
»Hast du ihn wenigstens gefragt, wo er sich versteckt?«
»Nein. Er hätte es mir ohnehin nicht verraten.«
»Lügst du schon wieder?«, fragte sie bohrend.
»Ich weiß nicht, wo Liam hingegangen ist«, beteuerte er. »Wirklich nicht!«
Lady Sarka blickte ihn stechend an. Am liebsten wäre er im Polster des Sessels versunken. »Dann finde es heraus«, befahl sie schließlich.
Er blinzelte. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, was sie da von ihm verlangte. »Das … das kann ich nicht«, sagte er.
»Natürlich kannst du. Wofür hast du denn deine Fähigkeiten? Heute Nacht gehst du wieder zu
Weitere Kostenlose Bücher