Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
wenn du schläfst. Da es noch einige Wochen dauern wird, bis du gesund bist, hast du ausreichend Gelegenheit dazu. Einmal pro Woche kommst du zu mir und berichtest, wie du vorankommst. «
Er nickte eingeschüchtert.
»Bald wirst du mächtig sein, Jackon«, sagte sie leise. »Mächtiger noch als Corvas und Umbra. Denk immer daran.«
Und da war ein Glitzern in ihren Augen, das ihn schaudern ließ.
12
Lucien und Caitlin
D er Wind wirbelte Asche und Staub auf und legte einen Schädelknochen frei. Augenhöhlen starrten zum glühenden Himmel hinauf. In der Nähe lagen noch mehr Gebeine: Rippen, Wadenbeine und zersplitterte Hirnschalen. Sie bedeckten die Talsohle bis zu den dunstverhangenen Felsenkämmen in der Ferne und ragten aus dem Erdreich hervor wie abgestorbenes Wurzelwerk.
Die Böen waren heiß und rochen nach Schlacke, nach Schwefel und verbranntem Gestein. Vivana kniff die Augen zusammen, während sie über die Ebene blickte. Die meisten Knochen wirkten menschlich, soweit sich das bei dem schlechten Zustand, in dem sie sich befanden, beurteilen ließ. Manche jedoch waren viel zu groß und wiesen seltsame Auswüchse auf, dornartige Stacheln, die aus Rückenwirbeln wuchsen, oder Hörner und zusätzliche Gliedmaßen. Wie diese Wesen zu Lebzeiten ausgesehen hatten, stellte sie sich lieber nicht vor.
»Was ist das?«, wandte sie sich an Lucien. »Ein altes Schlachtfeld?«
»Sieht ganz so aus.«
»Wer hat hier gekämpft?«
Lucien zuckte mit den Schultern und blickte zu dem Dämon, der am Rand des Knochenfelds wartete, wo ihr Vater auf ihn aufpasste. »Müssen wir da durch?«
»Nein. Der Schreiende Fluss liegt hinter den Hügeln.« Das
war das erste Mal seit ihrem Aufbruch, dass der Dämon sprach. Offenbar hielt er sich an Luciens Befehle. Zumindest hatte er bis jetzt weder versucht zu fliehen noch sie anzugreifen.
Lucien forderte das Geschöpf auf, vorauszugehen, und sie folgten ihrem unheimlichen Führer im Abstand von einigen Schritten die felsige Anhöhe hinauf. Ruac watschelte neben ihnen her. Obwohl er mehr kroch als ging, hielt er mühelos mit ihnen Schritt – was Vivana zu schätzen wusste, denn der Tatzelwurm konnte mit der Zeit ziemlich schwer werden.
Schon seit einer Weile hatten sie keine Ruinen mehr gesehen. Sie wanderten durch Ödland, durch staubtrockene Täler und Hügel aus rostroten Felsen, in denen es nichts gab, nicht einmal verdammte Seelen. Das einzige Geräusch war der Wind, der über die Felszacken pfiff.
Vivana dachte über den Ghulangriff nach. In den vergangenen zwei Tagen war so viel geschehen, dass sie erst jetzt dazu kam, sich mit den vielen ungeklärten Fragen und Rätseln jener Nacht auseinanderzusetzen. Warum war es überhaupt zu dem Angriff gekommen? Es hatte etwas mit Jackon zu tun, Liams Freund, der offenbar ein schreckliches Geheimnis hütete, weswegen Aziel, der Herr der Träume, ihn töten wollte. Doch das war im Grunde schon alles, was sie wusste.
Sie sprach Lucien darauf an. Der Alb nahm sich die Zeit und erklärte ihr ausführlich, wer Jackon wirklich war, über welche Kräfte er verfügte und warum Aziel versucht hatte, ihn zu ermorden. Nun ergab so manches einen Sinn.
»Wofür braucht Lady Sarka einen Traumwanderer?«, fragte Vivana.
»Tja. Das ist die Frage. Ich konnte noch nicht herausfinden, was sie im Schilde führt. Aber ich fürchte, es ist nichts Gutes.«
Vivana dachte lange über Luciens Geschichte nach. Ein Detail beschäftigte sie besonders. »Wohin sind sie gegangen?«
»Wer?«
»Die Alben. Dein Volk. Du hast gesagt, sie hätten unsere Welt verlassen, nachdem der Harlekin König geworden ist.«
Lucien nickte. »Sie haben sich an einen Ort zurückgezogen, der uns Schattenwesen eine Zuflucht bietet, wenn wir der Welt der Menschen überdrüssig sind.«
Vivana dachte daran, wie Tante Livia das Knochenorakel geworfen hatte. Sie hat es gewusst. »Was ist das für ein Ort?«
»Eine Welt, die eurer ähnelt und gleichzeitig ganz anders ist. Ein Reich hinter der Wirklichkeit.«
»Die Anderwelt.«
»Ja, so wird sie manchmal genannt.«
»Und dort gibt es genug Magie für euch.«
»Mehr jedenfalls als in eurer Welt«, sagte Lucien.
»Stimmt es, dass es am Fortschritt liegt, dass die Magie verschwindet? An den vielen Maschinen überall?«
»Daran«, bestätigte der Alb. »Am Lärm eurer Städte. Am künstlichen Licht, durch das es keine richtige Nacht mehr gibt. Und an dem Umstand, dass eure Wissenschaft langsam, aber unausweichlich jedes Geheimnis
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