Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
Dämon anzulegen. Manchmal war ihr, als durchdringe Liams Wesen die schmutzigen und verzerrten Gesichtszüge, als leuchte in seinen Augen ein Funken seiner Persönlichkeit auf, für eine Sekunde nur, bevor der Dämon wieder vollständig die Herrschaft über den Körper übernahm.
»Liam, kannst du mich hören?«, flüsterte sie.
»Nicht mit ihm reden!«, fuhr Lucien dazwischen.
Sie beachtete ihn nicht. »Sag etwas, Liam. Bitte.«
Der Dämon grinste und entblößte dabei schmutzig-gelbe Zähne. »Er kann dir nicht antworten. Und selbst wenn er könnte, würde er nicht wollen.«
»Warum nicht?«
»Weil du ihm gleichgültig bist.«
»Du lügst.«
»Ich kenne die Gefühle des Jungen«, fuhr der Dämon fort. »Er ist ein Teil von mir. Ich weiß, was er denkt und fühlt. Er empfindet nichts für dich. Er hat dir nur etwas vorgemacht, damit du ihm hilfst.«
Jedes Wort traf Vivana wie ein Schlag ins Gesicht. »Das ist nicht wahr«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass er mich liebt.«
Die Züge des Dämons veränderten sich und wurden weicher, als die Bosheit daraus verschwand. Die Grausamkeit in seinen Augen wich dem klugen und aufmerksamen Glitzern, das sie so gut kannte. »Du täuschst dich«, sagte er mit einer Stimme, die plötzlich genau wie Liams klang. »Ich liebe dich nicht und werde es niemals tun. Ist das so schwer zu verstehen? «
Liams Gesicht veränderte sich abermals, und das dämonische Grinsen kehrte zurück.
»Nicht!«, stieß Vivana hervor und packte den Dämon an den Schultern. »Liam, bleib da …«
»Das reicht jetzt«, knurrte Lucien. Unsanft nahm er ihr den Knebel weg und stopfte ihn dem Dämon in den Mund.
21
Dämonen
N ach ein paar Stunden Rast setzten sie ihren Marsch durch die Berge fort. Beißender Wind peitschte Staubschwaden durch die Täler und Klüfte und trieb den goldenen Dunst auf den Felskämmen auseinander.
Vivana sprach kaum ein Wort. Unentwegt musste sie daran denken, was der Dämon – oder Liam – gesagt hatte.
Ich liebe dich nicht und werde es niemals tun.
Ich liebe dich nicht …
Seit Stunden kreisten diese Worte in ihrem Kopf – und als wäre der Kummer, den sie deswegen empfand, nicht genug, ärgerte sie sich auch über sich selbst. Sie hätte nie mit dem Dämon reden dürfen. Warum hatte sie nicht auf Lucien gehört?
»Hör auf zu grübeln«, sagte der Alb irgendwann. »Das ist doch genau das, was er will.«
»Das war nicht Liam, oder?«
»Natürlich nicht. Er hat versucht, dich zu täuschen. Er will, dass du schwach wirst, damit du Fehler machst.«
»Diesen Gefallen tue ich ihm nicht«, sagte Vivana grimmig.
Lucien lächelte im Schatten seiner Kapuze und legte den Arm um sie. »Gut so. Lass dich nicht unterkriegen. Denk daran, was wir schon alles geschafft haben. Wir sind durch das halbe Pandæmonium gewandert, haben Dämonen und verdammte Seelen überlistet und Liam gefunden. Da sollte der Rest doch ein Kinderspiel sein, oder?«
»Ja.« Jetzt musste auch Vivana lächeln. Es tat gut, mit Lucien zu reden. Dennoch blieb ein Rest von Zweifel. Was, wenn er sich irrt? Wenn es wirklich Liam war, der zu mir gesprochen hat? Sie versuchte, nicht mehr daran zu denken.
Eine Weile gingen sie Arm in Arm den von Felsen gesäumten Pfad entlang.
»Wieso hat der Dämon das getan?«, fragte Vivana. »Liam den Körper gestohlen, meine ich.«
»Dämonen verabscheuen ihre eigene Gestalt. Sie wissen, dass sie hässlich sind, und sehnen sich insgeheim nach einem menschlichen Körper. Deswegen zögern sie nicht, ihren Dämonenleib aufzugeben, wenn sie jemanden gefunden haben, von dem sie Besitz ergreifen können.«
»Du hast gesagt, nur starke Menschen überstehen eine Besessenheit. Was geschieht, wenn man schwach ist?«
Lucien schwieg einen Moment, ehe er erwiderte: »Du solltest nicht zu viel über diese Dinge nachdenken.«
Vivana blieb stehen. »Du brauchst mich nicht zu schonen. Ich komme schon damit klar.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Am schlimmsten ist für mich die Ungewissheit.«
»Wie du meinst«, sagte Lucien zweifelnd. »Also, dämonische Besessenheit greift die Seele an. Der Betroffene kann den Verstand verlieren oder krank werden. Außerdem verändert sich mit der Zeit sein Körper, denn der menschliche Leib ist nicht dafür geschaffen … Was machst du da?«
Vivana hatte im Wind Geräusche gehört, die wie Stimmen klangen, und lief geduckt zu einem Felsen. Dahinter befand sich ein steiler Abhang, an dessen Fuß sich zwei vierbeinige Krieger
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