Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
weil sie Lucien und ihren
Vater in diese Sache hineingezogen hatte. Weil sie ihretwegen sterben würden.
Sie dachte an Liam und an ihren ersten Kuss in Lady Sarkas Palast. Die Erinnerung daran hatte ihr stets die Kraft gegeben, durchzuhalten und nicht den Mut zu verlieren, war ihre Lage noch so aussichtslos gewesen. Doch wie viel war diese Erinnerung wert, wenn Liam nichts für sie empfand? Sie versuchte, nicht an die Worte des Dämons zu denken, und sagte sich wieder und wieder, dass es nur Lügen waren, mit denen er sie verunsichern wollte. Die Zweifel blieben jedoch und wurden in der Dunkelheit des Kerkers immer quälender.
Der Gedanke, dass Liam sie nicht liebte, dass sie sich die ganze Zeit nur etwas vorgemacht hatte, war schlimmer als alles andere.
Sie bemerkte, dass ihre Gefährten sich leise unterhielten.
»›Die Zukunft gehört uns Dämonen‹«, wiederholte ihr Vater Seths Worte. »Was hat der rothaarige Kerl damit gemeint?«
»Vermutlich gar nichts«, erwiderte Lucien. »Seth ist ein aufgeblasener Wichtigtuer. Er wollte uns nur zeigen, dass er uns in der Hand hat.«
»Er mag dich nicht, was?«
»Ich habe ihn verwundet. Das vergisst er mir nicht so bald.«
Vivanas Vater schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich sollte mich bei dir entschuldigen. Bei euch beiden.«
»Wofür denn diesmal?«, fragte Vivana.
»Weil ich euch nicht geglaubt habe. Dass Liam im Pandæmonium ist, meine ich. Dass das Pandæmonium überhaupt existiert. Ich war ein verbohrter alter Mann, der nicht wahrhaben wollte, dass es Dinge gibt, die man nicht erklären kann.«
»Ja«, sagte Lucien. »Warst du. Davon abgesehen bist du kein übler Kerl … für einen Wissenschaftler.«
»Danke«, meinte ihr Vater trocken.
In diesem Moment näherten sich Geräusche der Zellentür. Schritte. Und wispernde Stimmen.
Jetzt ist es so weit. Augenblicklich spannte sich Vivanas ganzer Körper an.
»Wenn sie uns losgebunden haben, versuchen wir, zu entkommen«, flüsterte Lucien. »Wartet auf mein Zeichen.«
Was er vorschlug, war aussichtslos, ja verrückt – sie hatten keine Waffen, nichts, womit sie die Dämonen angreifen könnten. Dennoch machte sich Vivana bereit. Es war ihre einzige Chance.
Die Stimmen verstummten. Dann ließ ein Schlag die Tür erzittern. Was geht da vor? Warum benutzen sie nicht den Schlüssel? , dachte Vivana verwirrt. Noch ein Schlag und die Zellentür flog krachend auf. Fackellicht strömte herein. Nach den Stunden in der Finsternis war es so hell, dass sie geblendet die Augen zusammenkniff.
»Schneidet sie los«, rief jemand. »Macht schnell!«
Die Stimme klang vertraut. Als sich jemand an ihren Fesseln zu schaffen machte, hatten sich Vivanas Augen an die Helligkeit gewöhnt, sodass sie Einzelheiten erkennen konnte.
»Onkel Madalin!«, stieß sie entgeistert hervor.
Kein Zweifel, er war es wirklich. Der Manusch trug sein unverkennbares rotes Kopftuch und sein besticktes Wams. Mit einem Messer durchschnitt er die Ranken an ihren Armen.
Er grinste sie an. »Ich bin so froh, dich zu sehen. Geht es dir gut?«
Ihr Onkel war nicht allein. Vivana blinzelte gegen das Licht und sah drei weitere Gestalten: Madalins jüngere Brüder. Nedjo hielt die Fackel, während Jovan und Sandor ihren Vater und Lucien losschnitten.
War das ein Trick? Eine Illusion der Dämonen, um ihr erst Hoffnung zu machen und sie dann zu verhöhnen? Doch die vier Männer sahen so echt aus …
»W-was macht ihr hier?«, stammelte sie. »Wie habt ihr uns gefunden?«
»Livia ist fast verrückt geworden vor Angst um dich, als sie deinen Brief gelesen hat.« Madalin durchtrennte eine weitere Ranke. Der wurzelartige Strang verspritzte Schleim und verschwand zuckend im Boden. »Sie hat sich sofort auf die Suche nach dem Tor gemacht und drei Tage lang alte Bücher gewälzt. In einem gab es zum Glück einen Hinweis, dass es unter der Alten Arena versteckt ist. Wir sind eurer Spur gefolgt, aber in den Hügeln haben wir sie verloren. Livia hat euch schließlich mit einem Suchzauber gefunden.«
»Tante Livia?«, echote Vivana dumpf. »Heißt das, sie ist hier?«
»Sie wartet draußen und passt auf, ob jemand kommt. Ich sollte dich besser warnen: Sie ist ziemlich sauer auf dich.«
»Hört auf zu quatschen und beeilt euch!«, drängte Sandor.
Kurz darauf hatte Madalin sämtliche Fesseln entfernt. Vivana hatte so lange in gekrümmter Haltung dagesessen, dass sich ihre Beine taub anfühlten. Schwankend stand sie auf.
»Lass dich ansehen«, sagte
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