Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
zum Wohle Bradosts. Das verstehst du doch, oder?«
Widerwillig spürte er, wie ihre Worte ihn besänftigten. »Aber wenn Ihr die Stadt der Seelen beherrscht, betrifft das nicht nur die Leute von Bradost. Es betrifft die Träume aller Menschen.«
»Du hast mein Wort, dass ich behutsam mit meiner Macht umgehe.« Sie legte ihm die Hand auf die Wange. Die Flammen berührten sein Gesicht, doch sie verbrannten es nicht, im Gegenteil: Sie fühlten sich wohltuend an, wie Samt, der über seine Haut strich. Wieder erschien ein Gesicht darin und öffnete den Mund, als wollte es ihm etwas sagen. Es verschmolz mit dem orangefarbenen Schein des Feuers und verschwand. »Bringst du mich jetzt zum Palast?«, fragte Lady Sarka freundlich.
»Woher kommt dieses Feuer?«
»Eine Nachwirkung der Substanzen, die meine Träume unterdrückt haben. Nichts von Bedeutung.«
Jackon ergriff ihre Hand. »Es ist ein weiter Weg zum Palast. Wir müssen springen. Haltet Euch gut an mir fest.«
Er wusste, dass er kaum noch Kraft für einen Sprung hatte. Er ignorierte das Pochen in seinem Schädel, konzentrierte sich und sprang. Für einen Moment, kürzer als der Flügelschlag einer Libelle, drifteten seine Gedanken weg, mit dem Resultat, dass sie nicht vor dem Palasttor landeten, sondern einen Steinwurf davon entfernt. Jackon kam unsanft auf und stürzte zu Boden.
Lady Sarka wartete nicht, bis er sich aufgerappelt hatte, und schritt voraus, auf das Schloss zu. Jackon folgte ihr erschöpft und holte sie erst im Torbogen ein.
»Bring mich zu Aziels Thron«, befahl sie.
Er führte sie durch die Hallen zum großen Saal, wo er gegen Aziel gekämpft hatte. Silberstaub schimmerte in der Luft, die einzigen Überreste der Traumsubstanz, die sein Gegner und er verbraucht hatten.
Vor Aziels Thron ließ er ihre Hand los.
Der Herrschersitz stand in einer halbrunden Nische an der Stirnseite des Saales. Jackon konnte nicht sagen, aus welchem Material er gefertigt war. Es sah aus wie geschliffener Granit, doch die Muster und Reliefs auf dem Sockel und den Armlehnen veränderten sich ständig, so wie die Träume in den Seelenhäusern.
Langsam, Schritt für Schritt, stieg Lady Sarka die Stufen des Podestes hinauf. Beinahe andächtig fuhr sie mit der Hand über die Rückenlehne. Schließlich setzte sie sich.
Was dann geschah, war so fein und grazil, dass man nicht das Geringste sah oder hörte, und gleichzeitig so umwälzend, dass es die Träume von Millionen Menschen aufstörte. Aziels Niederlage hatte Kräfte freigesetzt, die seit dem Verschwinden des Albenkönigs keinen Fokus mehr besaßen und sich allmählich in der Stadt der Seelen verteilten. Als Lady Sarka auf dem Thron Platz nahm, bündelten sich diese Energien und strömten in den Palast, flossen unsichtbar durch die Korridore und sammelten sich in der Nische mit dem Herrschersitz, wo die Lady sie in sich aufnahm.
Nach ein paar Herzschlägen war es vorüber. Fröstelnd blickte Jackon zum Thron auf. Lady Sarka hatte sich nicht verändert, dennoch spürte er die neue Macht, die nun in ihrer Seele wohnte.
»Geh nach Hause, Jackon«, sagte sie. »Geh nach Hause und ruh dich aus.«
23
In Nachachs Kerker
D as Fest der Dämonen nahm kein Ende. Das Gelächter von Nachachs Blutsklaven und die misstönende Musik hallten durch die Tunnel der Festung und wurden immer schriller, immer ausgelassener. Erst viele Stunden, nachdem man Vivana und ihre Gefährten in den Kerker geworfen hatte, kehrte Ruhe ein. Erst verstummten die Trommeln und Pfeifen, dann die krächzenden und zirpenden Dämonenstimmen, bis schließlich Stille herrschte.
Vivana rechnete damit, dass jeden Moment die Zellentür aufschwang und man sie holen kam. Doch nichts dergleichen geschah. Sie stellte sich vor, wie Nachach und seine Gefolgsleute in der großen Halle lagen und schliefen, erschöpft von ihren wilden Tänzen und berauscht von dem widerwärtigen Sud, der in den Kesseln kochte.
Niemand sprach. Vivana, ihr Vater und Lucien hatten jeden Gedanken an Flucht längst aufgegeben. Zwar hatten sich ihre Fesseln inzwischen gelockert, doch kaum bewegte man sich zu hastig, zogen sie sich zusammen und schnitten schmerzhaft ins Fleisch. Die Ranken waren viel zu fest, um sie zu zerreißen, sogar für die mechanische Hand von Vivanas Vater. Ohne Hilfe hatten sie nicht den Hauch einer Chance.
Wir sind verloren , dachte Vivana. Seltsamerweise verspürte sie deswegen keine Angst. Nur ein überwältigendes Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Schuld,
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