Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
uns dort umsehen, oder?«
»Unterschätz nicht die Gefahr. Auf der Krähenhöhe wimmelt es von Soldaten und Geheimpolizisten.«
»Dann passen wir eben auf. Jetzt kommt schon. Oder wollt ihr lieber hier herumsitzen und darauf warten, dass man euch auch ins Gefängnis steckt?«
Als sie die Krähenhöhe, jenen Hügel im Nordosten der Stadt, erreichten, war es bereits Mitternacht. Sie waren durch die Katakomben gegangen und verließen den Tunnel im Keller eines leer stehenden Stadthauses. Es hatte aufgehört zu regnen, und der trübe Schein der Gaslaternen erfüllte die Straßen.
Godfrey, der als Einziger die Gegend kannte, führte sie durch das Gewirr der Gassen. Ruac hatte sich wieder unauffällig gemacht und folgte ihnen lautlos. Halb verfallene Mietskasernen, städtische Behörden mit rußgrauen Fassaden und die verschiedenen Gebäude der Irrenanstalt säumten ihren Weg; es gab weder Tavernen noch Kaffeehäuser, und ihnen begegnete keine Menschenseele.
Das Ministerium thronte wuchtig auf dem Hügel, ein kastenförmiges Gebäude mit vergitterten Fenstern und massiven Mauern. Vivana wusste, dass es einst das Gildenhaus der Alchymisten gewesen war, bevor die Gilde ihren Sitz in die Aetherküchen verlegt hatte. Ein halbes Dutzend Soldaten mit Filzmänteln, Brustpanzern und Hakenlanzen stand im Durchgang zum Innenhof. Auch die übrigen Zugänge waren bewacht. Vivana sank der Mut. Es würde sehr schwer werden, unbemerkt an das Gebäude heranzukommen, geschweige denn, hineinzugelangen.
Die Gefährten verbargen sich in einer Gasse, von der aus man die Vorderfront überblicken konnte. Mitten in der Nacht schienen sich kaum Leute darin aufzuhalten — nur in zwei Fenstern brannte Licht.
»Und jetzt?«, fragte Nedjo leise.
»Lass mich überlegen.« Was hätte Livia an ihrer Stelle getan? Gab es einen Zauberspruch, mit dem sie die Wachen verwirren oder in die Flucht schlagen konnte? Vivana horchte in sich hinein, doch alles, was sie dort fand, war ein unbeschreibliches Durcheinander. Die magische Kraft in ihr war noch viel zu frisch, viel zu wild und ungeordnet. Vivana bezweifelte, dass sie je in der Lage sein würde, sie zu beherrschen und etwas Nützliches damit anzufangen.
»Kannst du dich in Aether verwandeln?«, fragte sie Godfrey.
»Um was zu tun?«
»Du könntest ins Gefängnis eindringen und die Zellen aufmachen.«
»Und dann? Das Gefängnis ist voller Wachen. Selbst wenn ich es schaffe — wie sollen dein Vater und die anderen an ihnen vorbeikommen?«
Vivana verzog den Mund. Warum musste Godfrey sie immerzu darauf hinweisen, was
nicht
ging? Konnte er nicht wenigstens ein Mal einen konstruktiven Vorschlag machen?
Sie hörte ein leises Geräusch in der Gasse und fuhr herum. Nedjo hob seine Pistole und starrte angespannt in die Dunkelheit.
Eine Gestalt huschte aus der Schwärze.
»Lucien!«, sagte Vivana verblüfft.
Der Alb prallte zurück und hob die Hände, als er die auf ihn gerichtete Waffe sah. »Ho! Ganz ruhig.«
Nedjo atmete erleichtert aus und senkte die Pistole. Lucien kam näher.
»Was machst du hier?«, fragte Vivana. »Wir dachten, du wärst im Gefängnis, genau wie die anderen.« Sie war so glücklich, ihn zu sehen, dass sie ihn umarmte.
»Lange Geschichte.« Lucien musterte sie von oben bis unten. »Was ist denn mit dir passiert? Du wirkst so anders. Und ... bei der ewigen Nacht, ist das etwa
Ruac?«
»Ich erklär's dir später. Wie hast du uns gefunden?«
»Wir sind auch gerade erst gekommen. Wir haben euch zufällig gesehen. Ihr seid ganz schön laut. Sei froh, dass die Wachen da drüben keine Alben sind.«
»Wir?«,
wiederholte Vivana und verspürte jähe Hoffnung in sich aufsteigen. »Heißt das, es konnte noch wer entkommen?«
»Leider nicht. Aber ich habe jemanden mitgebracht, der uns helfen will. Bin gleich wieder da.«
Lucien verschwand in der Dunkelheit und kam wenig später mit seinem geheimnisvollen Begleiter zurück.
»Du!«, sagte Vivana.
Es war Jackon.
»Bevor du jetzt wütend wirst, hör mir zu«, begann Lucien, doch sie
war
bereits wütend.
»Hast du vergessen, was er angerichtet hat? Er hat uns verraten. Er ist schuld daran, dass Tante Livia tot ist. Und du bringst ihn einfach zu uns!«
»Es ging nicht anders. Wir brauchen ihn, wenn wir die anderen retten wollen.«
Vivana konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sie fuhr zu Jackon herum. »Du verdammter Bastard! Du Verräter!«, zischte sie leise. »Verschwinde! Hau ab und lass dich nie wieder blicken,
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