Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
gefunden hatte, und blickte sie vorwurfsvoll an.
»Ich weiß, nicht gerade ein Festessen«, sagte sie. »Aber etwas anderes gibt's nicht. Tut mir leid.«
Der Lindwurm machte sich über ein steinhartes Brot her. Es knirschte, als er den Laib zerbiss.
»Wir sind nicht viel besser dran«, sagte Nedjo in der Dunkelheit. »Hier. Eine halb volle Dose mit Keksen. Zwei Äpfel. Etwas Hartkäse. Guten Appetit.«
Vivana setzte sich zu den beiden Männern und nahm einen Apfel. Sie hatten vor dem Regen in einer Scheune Schutz gesucht, am Rand der Plantagen, wo sich um diese Jahreszeit kaum ein Mensch aufhielt. Unter dem Heuboden war genug Platz für drei Personen und einen Lindwurm, obwohl Ruac inzwischen mehr als vier Schritt lang war und so viel wog wie ein Pferd. Es roch nach Stroh, Erde und fauligem Obst und war nicht ganz so ungemütlich wie draußen.
Lustlos nagte Vivana an ihrem Apfel. Sie war müde und niedergeschlagen, und sie hatte es satt, sich ständig zu verstecken. Noch nie zuvor hatte sie sich so sehr nach ihrem Zuhause gesehnt, nach der Geborgenheit ihres Zimmers und den vielen Kleinigkeiten, auf die sie seit Wochen verzichten musste: ihrem Bett, ihren Büchern, einem ordentlich eingerichteten Badezimmer. Ob sie das Haus mit der Glaskuppel jemals wiedersehen würde?
»Da draußen sind Leute«, sagte Godfrey, der am Fenster saß und in die Nacht hinausblickte.
»Spiegelmänner?«, fragte sie alarmiert.
»Schwer zu sagen. Seid besser leise.«
Sie wagte kaum zu atmen. Mit den anderen drängte sie sich am Fenster und versuchte, die Gestalten, die sich auf dem Acker herumtrieben, genauer zu erkennen. Eine von ihnen hatte eine Laterne, doch der Regen war zu stark, als dass sie mehr hätte sehen können.
»Äh, Vivana?«, flüsterte Nedjo. »Ich glaube, Ruac ist weg.«
Sie fuhr herum. Ruac saß an derselben Stelle wie vorhin, den Kopf wachsam in die Höhe gereckt. Wollte Nedjo sie auf den Arm nehmen? Dann begriff sie: Ruac hatte auf die Gefahr reagiert und sich
unauffällig
gemacht. Er war jetzt ein ausgewachsener Lindwurm und besaß alle Eigenschaften eines echten Schattenwesens.
»Keine Sorge, er ist noch da. Du kannst ihn nur nicht mehr sehen.«
»Aber du kannst es?«, fragte Nedjo.
Es war nicht so, dass Ruacs Unauffälligkeit keine Wirkung auf sie gehabt hätte — sie musste sich schon ein wenig anstrengen, damit sie ihn erkennen konnte. Aber dass sie es überhaupt konnte, war neu. Vor ein paar Tagen hatte sie von dem unauffälligen Lucien nur einen Schemen gesehen, obwohl er genau neben ihr stand. Vermutlich eine Nebenwirkung ihrer neuen magischen Kräfte.
»Das sind nur Betrunkene«, stellte Godfrey fest. »Von denen haben wir nichts zu befürchten.«
Ein paar Minuten später war das ferne Gelächter der Gestalten verklungen. Vivana hatte keine Lust mehr, im Dunkeln zu sitzen, und zündete die Laterne an, die sie im Schuppen fand. Nedjo und Godfrey setzten sich zu ihr in den Lichtschein.
»Wir müssen uns überlegen, was wir jetzt machen«, sagte sie.
»Was
können
wir denn noch machen?«, erwiderte Nedjo. »Ohne Madalin und die anderen sind wir am Ende.«
»Richtig. Deswegen müssen wir sie befreien.«
»Wie? Wir wissen ja nicht einmal, wohin die Spiegelmänner sie gebracht haben.«
»Sie sind im Ministerium der Wahrheit«, sagte Godfrey. »Sicher?«
»Politische Gegner der Lady werden immer im Ministerium inhaftiert.«
»Gut«, sagte Vivana. »Lasst uns dort hingehen.«
»Du willst sie aus dem Ministerium befreien?«, fragte Nedjo mit gerunzelter Stirn.
Sie nickte.
»Aber du kennst doch die Geschichten. Wer einmal im Gefängnis der Geheimpolizei sitzt, kommt nie wieder raus.«
»Ich habe ja auch nicht vor auszubrechen. Ich will
ein
brechen.«
»Trotzdem. Das ist viel zu gefährlich.«
»Du willst sie also im Stich lassen? Deine Brüder? Die Kinder?«
»Du kennst mich — unter anderen Umständen wäre ich der Erste, der etwas unternehmen würde. Aber du musst das realistisch sehen. Was können wir drei schon ausrichten? Wir haben nicht einmal mehr
javva.«
»Wir sind vier«, widersprach Vivana, und Ruac züngelte, wie um ihre Worte zu bekräftigen. »Ich weiß ja, dass es schwierig ist«, fuhr sie fort. »Aber irgendetwas müssen wir tun. Ich finde, wir sollten uns wenigstens das Ministerium aus der Nähe anschauen. Vielleicht fällt uns dann etwas ein. Was meinst du, Godfrey?«
»Ich sehe es wie Nedjo. Wir haben kaum eine Chance.«
»Aber es spricht doch nichts dagegen, dass wir
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