Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
und gesellte sich zu ihnen. Er schien den ganzen Weg in aller Gemütsruhe geschlendert zu sein. Godfrey zog es vor, sich nicht übermäßig schnell zu bewegen, wenn er es vermeiden konnte.
»Kannst du die Wache einschlafen lassen, so wie damals den Kerl in der Alten Arena?«, fragte Vivana Lucien.
»Ich fürchte, mit solchen Kunststücken ist es fürs Erste vorbei. Aber ich schaffe das auch so.«
Während Vivana noch rätselte, was er damit meinte, zog der Alb seinen Dolch und schlich davon.
Wieso macht er sich nicht unauffällig?,
fragte sie sich besorgt. Doch auch so war Lucien dank seiner katzenhaften Flinkheit nahezu unsichtbar. Geschickt das Wechselspiel von Licht und Schatten ausnutzend, pirschte er sich an den Soldaten heran und verpasste ihm mit dem Dolchknauf einen Hieb in den Nacken. Bewusstlos brach der Mann zusammen. Lucien fing ihn auf, damit seine Rüstung nicht klapperte, und legte ihn behutsam auf das Kopfsteinpflaster.
Vivana und Godfrey eilten zu ihm. An dieser Seite des Ministeriums waren alle Fenster dunkel. Niemand schien etwas bemerkt zu haben.
Vivana gab Lucien ihr letztes Seil, mit dem der Alb den Soldaten fesselte. Währenddessen versuchte sie sich an der Tür. »Abgeschlossen. Hat er einen Schlüssel bei sich?«
Lucien durchsuchte den Bewusstlosen flüchtig. »Leider nicht.«
Das war Godfreys Stichwort. Er trat vor und verwandelte seinen Zeigefinger in Aetherdunst, den er in das Schlüsselloch strömen ließ. Klickend entriegelten sich Stifte und Sperrfedern, trotzdem ging die Tür nicht auf, als Godfrey die Klinke herunterdrückte. »Sie ist zusätzlich verriegelt. Um sie zu öffnen, muss ich mich vollständig in Aether verwandeln.«
Raschelnd sanken seine Kleider zu Boden. Wo Godfrey eben noch gestanden hatte, hing nun eine Wolke aus goldenem Dunst in der Luft. Wie ein Nebelstreif waberte der Aether auf das Gebäude zu und kroch unter dem Türschlitz hindurch. Kurz darauf erklang das Geräusch eines Riegels, der aufgeschoben wurde.
Die Tür öffnete sich einen Spalt. »Meine Kleider, bitte«, sagte Godfrey.
Vivana reichte sie ihm. Nachdem Godfrey sich angezogen hatte, trat er nach draußen und rückte seine Melone zurecht. »Schaffen wir den Soldaten hinein«, sagte Lucien.
Gerade als er und Godfrey den Bewusstlosen hochheben wollten, hörte Vivana das Klappern von Kutschenrädern auf dem Kopfsteinpflaster. »Vorsicht!«, flüsterte sie und presste sich mit ihren Gefährten gegen die Gebäudewand, verborgen hinter einem Mauervorsprung.
Ein Zweispänner fuhr an der Gasse vorbei. Ein Trupp Spiegelmänner folgte der Kutsche, während sie langsam die Straße vor dem Ministerium entlangrollte.
»Kannst du erkennen, wer drinsitzt?«, fragte Vivana Lucien, der auch in tiefster Dunkelheit gut sehen konnte.
»Corvas, Umbra und Amander. Sieht so aus, als wären sie fertig für heute und würden zum Palast zurückkehren.«
»Fertig womit?«
»Die Gefangenen zu verhören.«
Vivana biss sich auf die Unterlippe.
Verhören.
Wie hässlich dieses Wort klang. Es beschwor schreckliche Bilder herauf von halbdunklen Räumen mit nackten Wänden, von Folterwerkzeugen, von Schmerz, Furcht und Verzweiflung. Sie schloss die Augen, als ihre Angst um Liam, ihren Vater und die Manusch so stark wurde, dass sie es kaum noch ertrug.
Das Klappern der Kutschenräder verklang.
»Beeilen wir uns«, sagte Lucien leise. Er und Godfrey trugen den Soldaten hinein, Vivana schloss die Pforte. Vor ihnen erstreckte sich ein Korridor, von dem mehrere Türen abzweigten. Es war dunkel und vollkommen still, sodass Godfrey es riskierte, die Karbidlampe zu entzünden, die Vivana mitgebracht hatte. Die Türen führten zu kleinen Räumen mit Aktenschränken und Schreibtischen; die meisten der Büros wirkten, als würden sie schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzt werden. In einer der Schreibstuben legten sie den Soldaten auf den Boden, bevor sie vorsichtig dem Korridor tiefer in das Gebäude hinein folgten.
Kurz darauf erreichten sie einen gewaltigen Saal, der einen großen Teil dieses Traktes einnahm. Der Strahl ihrer Lampe strich über holzgetäfelte Wände und unzählige Regale, die so hoch waren, dass man ihre oberen Fächer nur über verschiebbare Leitern erreichte. Wie in einer alten Bibliothek, in der vergessene Geheimnisse lagerten, roch es nach Staub, vergilbtem Papier und brüchigem Leder.
Vivana ging an den Regalen vorbei und stellte fest, dass sie ledergebundene Mappen enthielten, alphabetisch geordnet
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