Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
den Buckel eines alten Weibs hielten, bewegte sich dabei unter dem braunen Gewand, das ihren abstoßenden Leib verhüllte. »Einen scheußlichen Tag hast du dir für deinen Besuch ausgesucht. Dieses verrückte Wetter! Es macht mich ganz kribbelig. Etwas liegt in der Luft, ich spüre es in Federn und Knochen.«
Natürlich wusste Mama Ogda, was Lady Sarka getan hatte und was in den Traumlanden geschah, und wie jedes Schattenwesen litt sie darunter. Nicht, weil sie wie die Menschen nicht mehr richtig träumte, sondern weil es ihr beinahe körperliche Schmerzen bereitete, dass das Gefüge der Welt auf solch verstörende Weise durcheinandergeriet.
»Wo soll das alles nur hinführen?«, fuhr Mama Ogda fort. »Manchmal frage ich mich, ob es nicht an der Zeit wäre, den Laden aufzugeben und zur Anderwelt aufzubrechen. So wie Grubb. Hat von heute auf morgen alles hingeworfen und die Welt der Menschen verlassen.«
»Grubb ist fort?«, fragte Lucien. In den vergangenen Jahren hatte er den Oger nur selten gesehen. Zuletzt hatte er im Labyrinth als Lastenträger gearbeitet.
»Seit zwei Wochen. Er hält es nicht länger aus, hat er gesagt. Und Beryl und die anderen spielen auch mit dem Gedanken. Ja, alter Freund, es sieht so aus, als wären wir zwei bald die Letzten.«
Nachdenklich nippte Lucien an seiner Tasse. Wenn nun auch jene Schattenwesen flohen, die sich längst mit dem Menschen arrangiert hatten, stand es womöglich noch schlimmer, als er gedacht hatte.
Schweigend tranken sie ihren Tee. Doch Harpyien neigten nicht zu Melancholie, und wenig später kehrte das listige Glitzern in Mama Ogdas Augen zurück.
»Willst du mir nicht erzählen, was dir zugestoßen ist?«, fragte sie unvermittelt.
Er hätte sich denken können, dass Mama Ogda spürte, was mit seinen Kräften geschehen war. Sie war unvorstellbar alt, und ihr entging nichts. »Es gab einen kleinen Unfall.«
»Silas hat das getan, nicht wahr?« Als er darauf keine Antwort gab, verzog sie ihre Lippen und entblößte dabei spitze Zähne. »Natürlich steckt er dahinter. Das trägt seine Handschrift. Nun, das überrascht mich nicht. Seit der Sache mit seinem Haus war er ziemlich wütend auf dich, und er war schon immer ein rachsüchtiger kleiner Bastard.«
»Er wird jetzt noch viel wütender auf mich sein.«
»Ich fürchte, da irrst du dich, mein lieber Lucien. Silas ist tot.«
»Tot?«, fragte er überrascht. »Wann ist das passiert?«
»Heute Nacht. Lady Sarka hat ihn ermorden lassen. Von Amander.«
Lucien konnte nicht behaupten, dass ihn diese Neuigkeit betrübte. Aber er wollte es nicht allzu deutlich zeigen. Mama Ogda und Torne hatten jahrelang undurchsichtige Geschäfte miteinander betrieben, und er wusste nicht genau, in welcher Beziehung sie zueinander standen. »Wieso weißt du davon?«
»Ich bin eine Harpyie. Gewisse Dinge weiß ich einfach.«
Er beschloss, endlich zur Sache zu kommen. »Ja. Deshalb bin ich hier. Hör zu. Ich stelle gerade ein paar Nachforschungen an. Ich habe gehofft, du könntest mir dabei helfen.«
»Wonach suchst du denn?«
»Die Bleichen Männer.«
Die Harpyie lachte meckernd. »Du machst Witze.«
»Es ist mein Ernst, Mama Ogda. Ich muss sie finden.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Wegen der Dinge, die geschehen. Es muss endlich etwas unternommen werden. Aber dafür brauche ich Antworten.«
»Warum überlässt du die Sache nicht den Menschen? Sie haben die Katastrophe angerichtet. Sollen sie zusehen, wie sie da mit heiler Haut rauskommen.«
»Du weißt, dass das nicht so einfach ist.«
»Der gute alte Lucien«, sagte Mama Ogda. »Fühlt sich immerzu verantwortlich, was?«
»Hilfst du mir jetzt oder nicht?«, fragte er.
»Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet ich dazu im Stande bin?«
»›Erinnerungen für alle Lebenslagen‹ — stand das nicht früher an deiner Tür?«
Ihre Äuglein glitzerten spöttisch. Dann stand sie auf und sagte: »Komm mit.«
Sie gingen zu der Holztheke, die wie ein Altar aus prähistorischer Zeit im hinteren Teil des Ladens stand. Dahinter schob Mama Ogda einen Läufer weg, öffnete eine Kellerluke und kletterte eine Stiege hinab.
Unter dem Laden befand sich ein Gewölbekeller. Die Harpyie zündete eine Laterne an und führte Lucien durch das Gewirr aus Regalen. Unzählige Phiolen standen darin. Jede einzelne enthielt eine gestohlene Erinnerung, von Mama Ogda auf magische Weise destilliert und konserviert. In einem dunklen Winkel, verborgen unter einer Staubschicht,
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