Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
schrie Lucien. Sie rannten los, weg von dem Garten, aber nicht in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ein Schuss donnerte. Liam zog unwillkürlich den Kopf ein und warf einen Blick über die Schulter. Irgendwo hinter ihnen im Unterholz sah er zwei Gestalten, die ihnen mit gezückten Pistolen nachrannten.
»Wie haben sie uns gefunden?«, fragte er atemlos, während er durch den Wald hetzte, sich unter Ästen duckte und über Baumwurzeln sprang.
»Corvas' Krähen vermutlich«, erwiderte Lucien, bevor er abrupt stehen blieb. Vor ihm fiel krachend ein armdicker Ast zu Boden.
Der ganze Wald knarrte und stöhnte. Neue Erschütterungen ließen den Boden zittern. Sie waren nicht so stark, dass die Erde aufriss, aber stark genug, dass all das tote Holz, das die Herbststürme abgerissen hatten, nun aus den Baumwipfeln geschüttelt wurde. Überall regnete es Äste, manche so dick, dass sie einen erschlagen konnten. Der Wald war zu einer Todesfalle geworden. Aber nicht nur für sie, auch für ihre Verfolger. Liam konnte Umbra und Amander nicht mehr sehen. Offenbar hatte das herabfallende Holz ihnen den Weg abgeschnitten oder sie gezwungen, Deckung zu suchen.
Das Erdbeben war ihre Chance! Vielleicht half es ihnen, zu entkommen.
Während sie darauf warteten, dass der Boden zur Ruhe kam, lud Quindal seine Pistole nach. Der Erfinder zitterte und verschüttete das Schwarzpulver, bis es ihm endlich gelang. Liam konnte es ihm nicht verdenken. Erst die Bleichen Männer, dann das plötzliche Auftauchen von Corvas, und jetzt auch noch das Erdbeben — das war einfach zu viel für ihn, zu viel für sie alle.
»Weiter!«, drängte Lucien, als das Beben nachließ, und sie hasteten geduckt unter den niedrigen Ästen hindurch.
Sie rannten über eine kleine Lichtung, auf der sich mehrere morsche Baumstämme auftürmten. »Achtung, da oben!«, rief Vivana und deutete auf eine Krähe, die zwischen den Wipfeln erschien.
»Diesmal krieg ich dich, du Hurensohn«, knurrte ihr Vater und schoss. Die Kugel verfehlte ihr Ziel und zerfetzte einen Ast. Die Krähe verschwand zwischen den Baumwipfeln. Quindal wollte noch einmal auf sie anlegen, doch Vivana ergriff seine Hand und zog ihn mit sich.
Ihr Weg führte nun hangabwärts. Das Erdbeben schien aufgehört zu haben, und ihre Verfolger holten auf. Für einen flüchtigen Moment konnte Liam Umbra im Blättergewirr erkennen. »Amander, hier drüben«, brüllte sie und legte mit der Pistole an. Ein Schuss peitschte durch das Unterholz und schlug so dicht neben Liam in einen Baumstamm ein, dass er von einem Hagel aus Holzsplittern getroffen wurde. Gleichzeitig begannen sich die Schatten der Äste zu bewegen, belebt von Umbras unheimlichen Kräften, gewannen Festigkeit und griffen nach ihm wie Tentakel aus rauchiger Dunkelheit.
Liam duckte sich darunter hindurch und lief schnell weiter. Zu seiner Linken glaubte er, eine Gestalt näher kommen zu sehen. »Passt auf, da ist Amander!«
Lucien hatte den Leibwächter auch gesehen, schlug einen Haken und änderte seine Richtung. Liam und die anderen hefteten sich an seine Fersen. Auf ihrer Hast den Hang hinab mussten sie immer wieder zuckenden Schatten ausweichen, die versuchten, sie zu packen und zu Fall zu bringen.
Kurz darauf lichtete sich der Wald. Vor ihnen lag der Norden von Scotia mit seinem Gassenlabyrinth, das sich vom Waldrand bis zum Ufer des Rodis erstreckte. Liam bemerkte, dass das Erdbeben zahlreiche Gebäude in Mitleidenschaft gezogen hatte, besonders die höheren. Einige waren eingestürzt, viele schwer beschädigt.
Plötzlich bebte die Erde abermals. Während Liam und seine Gefährten die Richtung zur Stadt einschlugen, erzitterte der Boden unter mehreren leichten Stößen.
»In die Gassen!«, sagte Lucien. »Dort versuchen wir, sie abzuhängen.«
Zwischen dem Waldrand und der ersten Häuserzeile befanden sich kleine Gärten, die terrassenartig am Hang angelegt waren. Sie folgten der Treppe zwischen den Grundstücken und nahmen mit jedem Schritt mehrere Stufen auf einmal. Aus den Augenwinkeln sah Liam Umbra und Amander aus dem Wald kommen. Umbra deutete auf sie und rief etwas, woraufhin ihr Kumpan zu ihr gelaufen kam. Sie packte ihn unsanft am Arm, wich zurück in den Schatten — und verschwand.
Liam blieb ruckartig stehen, als ihm klar wurde, was sie vorhatte. »Vorsicht!«, schrie er. Im gleichen Moment erschienen Umbra und Amander in der Gasse, auf die seine Gefährten zuliefen.
Quindal schoss, und die beiden Leibwächter
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