Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
wohlauf sind.«
Müde machten sie sich auf den Weg. Lucien bestand darauf, dass sie aus Sicherheitsgründen zur alten Brauerei zurückkehrten, wo sie die Katakomben verlassen hatten. Als sie dort ankamen, stellte sich jedoch heraus, dass der Tunnel nicht mehr begehbar war — das uralte Mauerwerk war nach knapp hundert Schritt eingestürzt. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als Scotia oberirdisch zu durchqueren. Liam fürchtete, Corvas und seine Kumpane könnten sie entdecken, doch von den drei Leibwächtern war weit und breit nichts zu sehen. Auch Krähen zeigten sich keine. Anscheinend hatte das Erdbeben Corvas' geflügelte Spione verjagt.
Sie gingen am Flussufer entlang. Die Chimärenbrücke hatte die Katastrophe wundersamerweise ohne einen Kratzer überstanden. Sie war voller Menschen — Flüchtlinge aus dem Kessel, wo das Beben am schlimmsten gewütet hatte. Die Gefährten kämpften sich durch die Menge. Auf der anderen Seite des Flusses bot sich ihnen ein Bild vollkommener Zerstörung. Der Magistratspalast stand noch, aber die Alte Festung auf dem Hügel war zum größten Teil eingestürzt. Dasselbe galt für die meisten Häuser und Anwesen an der Kupferstraße.
Von der Alten Pumpstation aus, der Herzkammer, versuchten sie, in die Kanäle zu gelangen, doch auch hier waren viele der Tunnel eingestürzt oder so schwer beschädigt, dass es zu gefährlich war, sie zu betreten. Als sie gerade umkehren wollten, verschwand Lucien plötzlich in einem Nebengang. »Kommt her«, rief er.
Liam folgte ihm — und traute seinen Augen nicht. Der Tunnel brach nach wenigen Schritten ab und öffnete sich in einen Abgrund. Der Alb stand reglos da, eine Hand an der Wand, das Haar wehte im Luftzug.
Langsam trat Liam neben ihn. Vor ihnen klaffte eine gewaltige Erdspalte. Abgerissene Rohre ragten wie Wurzelwerk aus den Felswänden, hier und da waren die Überreste von Kellern und Katakomben zu sehen. Aus Kanälen, die im Nichts endeten, stürzte Wasser. Zu seiner Rechten erblickte Liam einen tosenden Wasserfall: der Rodis, der in den Abgrund strömte. Und auf der anderen Seite, wenige Schritt über ihnen: die Ruinen von Manufakturen und Fabriken. Manche Gebäude hingen, von Strahlträgern zusammengehalten, teilweise in der Luft; gelegentlich brachen Teile ab und fielen in die Tiefe. Überall stiegen Rauch und Aetherdampf von zerschmetterten Maschinen auf und vermischten sich mit den Staubschwaden, die über der Stadt lagen.
»Meine Werkstatt«, ächzte Quindal. Liam folgte dem Blick des Erfinders zum Rand der Spalte und entdeckte das vertraute Gebäude — oder was davon übrig war. Nur noch ein Nebengebäude stand. Die beiden Hallen hatte die Spalte verschluckt.
»Da«, sagte Lucien und deutete auf einen Punkt in der Tiefe.
Liam machte einen Schritt nach vorne und fühlte namenloses Entsetzen in sich aufsteigen. Aus der Dunkelheit am Grund der Spalte, viele hundert Fuß unter ihm, krochen Wesen herauf. Flink kletterten sie an den zerklüfteten Felswänden empor, große und kleine, menschenähnliche und ganz und gar bizarre mit viel zu vielen Gliedmaßen und deformierten Leibern.
»Dämonen«, flüsterte er.
»Ja. Die Mauern des Pandæmoniums sind aufgebrochen. Sie dringen in unsere Welt ein.«
Der Anblick übte eine morbide Faszination auf Liam aus. Er hatte gedacht, er wäre dem Grauen des Pandæmoniums für immer entronnen, doch nun holte es ihn unversehens ein. Nur mit Mühe konnte er sich abwenden, als Lucien, Vivana und Quindal zurückgingen.
Die Erdspalte zwang sie zu einem Umweg. Von der Herzkammer aus folgten sie der Kupferstraße nach Norden, wandten sich auf der Höhe der alten Gießerei nach Osten und durchquerten den Kessel. Es war eine beschwerliche Wanderung. Viele Straßen waren wegen der Trümmer kaum passierbar. Außerdem wüteten in den Ruinen Feuersbrünste, und überall wimmelte es von verzweifelten und verletzten Menschen, die sie um Hilfe anflehten. Geflügelte Rabendämonen, riesige Verschlinger, kreisten über der Glocke aus Rauch und Staub und machten Jagd auf die Flüchtlinge. Es war eine apokalyptische Szenerie, die sich Liam darbot — und dabei war das erst der Anfang. Bald schon würden ganze Legionen von Dämonen aus dem Abgrund heraufkriechen, und was Bradost dann bevorstand, wagte er sich nicht vorzustellen.
Stunden nach ihrer Flucht aus dem Waldstück sahen sie den Wasserturm über den Dächern aufragen. Voller Erleichterung stellte Liam fest, dass er weitgehend unbeschädigt
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