Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
Geschwindigkeit geradeaus, in der Hoffnung, die
Phönix
abzuhängen, obwohl er damit riskierte, dass sie getroffen wurden.
Ein Blitz sengte so nah an der Gondel vorbei, dass Vivana den beißenden Geruch verbrannten Lacks riechen konnte. Sie schloss die Augen und betete, dass es Khoroj gelang, sie aus der Reichweite der Geschütze und Blitzwerfer zu bringen, bevor eine Schrotladung ihre Hülle zerfetzte oder eine Kanonenkugel die Gondel zerschmetterte.
Am schlimmsten war das Gefühl der Hilflosigkeit. Vivana konnte
nichts
tun. In der Gondel gab es keine Deckung, keinen Schutz vor den Geschossen, die mit tödlicher Gewalt heranrasten. Wenn sie getroffen wurden, würde sie sterben, ganz egal, was sie tat. Sie war gefangen in einem fliegenden Sarg.
»Da ist Ruac!«, schrie Jackon.
Vivana öffnete die Augen. »Wo?«
Der Rothaarige lag neben ihr und deutete auf einen Punkt irgendwo am Himmel. »Da oben! Über der
Phönix
!«
Sie kroch zur Heckscheibe und hielt sich an einem Sessel fest. Sie sah gar nichts ... doch! Hinter dem Geschützstand auf der Oberseite der Hülle schwebte ein Schemen, kaum zu erkennen in der Dunkelheit. Die Männer an den Drehbassen und Blitzwerfern bemerkten Ruac nicht, zum einen, weil er unauffällig war, zum anderen, weil sie vollauf damit beschäftigt waren, ihre Waffen nachzuladen.
Vivana ahnte, was Ruac vorhatte.
Bitte sei vorsichtig!
»Was macht er?«, fragte Liam, der den Lindwurm natürlich ebenso wenig sehen konnte wie die beiden Kanoniere.
Vivana war nicht in der Lage zu antworten. Sie hielt den Atem an, als Ruac hinter der Plattform landete. Was er dort tat, konnte sie nicht erkennen, aber kurz darauf quollen Aetherschwaden aus der Hülle und trübten den Blick auf die Sterne.
Anschließend stemmte sich der Lindwurm gegen den Fahrtwind und kroch Richtung Heck. Offenbar riss er unterwegs weitere Löcher in die Außenhaut, denn plötzlich gab es nicht nur das eine Leck, aus dem Gas strömte, sondern zwei, drei, vier. Zufrieden mit seinem Werk spreizte Ruac die Schwingen, ließ sich in die Tiefe fallen und verschwand hinter dem Luftschiff.
Die Kanoniere bemerkten nichts.
Keine Minute später hörte die
Phönix
auf zu feuern.
»Da hat wohl jemand den Druckabfall in den oberen Traggaszellen entdeckt«, sagte Vivanas Vater mit grimmiger Zufriedenheit.
Das riesige Luftschiff wurde langsamer und verlor an Höhe.
Und dann drehte es bei.
»Ruac hat uns gerettet«, murmelte Vivana. »Er hat uns schon wieder gerettet.«
Die Freunde standen einer nach dem anderen auf, traten an die Heckscheibe und blickten der
Phönix
nach.
Im nächsten Moment erfüllte donnernder Jubel die
Jaipin
.
25
Dein schlimmster Albtraum
V ivana wachte auf und stellte fest, dass sie im Bett in einer der Passagierkabinen lag. Jemand musste sie hierhergebracht haben, als sie schon geschlafen hatte, denn das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie es sich in einem Sessel im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht hatte.
Es war früh am Morgen; graues Dämmerlicht drang durch das kleine Bullauge. Sie entschied, Liam, der neben ihr lag, weiterschlafen zu lassen, und verließ leise die Kabine. Sie gähnte und versuchte erfolglos, ihre zerknitterten Kleider glatt zu streichen, während sie zum Aufenthaltsraum schlurfte.
Wie sie roch! Sie brauchte ein Bad. Dringend.
Verschlafen ging sie zur Heckscheibe. Die
Jaipin
befand sich mitten über dem Ozean: stahlgraue Wellen, so weit das Auge reichte. Ruac folgte ihnen nach wie vor unverdrossen. Im Sturzflug tauchte er ins Meer, blieb für eine Minute unter Wasser und schoss dann in einer Fontäne aus Gischt Richtung Himmel. Im Maul hatte er einen großen Fisch, den er im Fliegen verschlang.
Er wirkte nicht im Mindesten erschöpft — aber wie lange noch? Bis nach Yaro D'ar waren es viele hundert Meilen. Was, wenn ihm unterwegs die Kräfte ausgingen?
»Mach dir nicht so viele Sorgen um ihn. Ruac ist ein zäher Bursche.«
Erst jetzt bemerkte sie Lucien, der in einer Ecke saß, die Füße auf dem Tisch, und Pfeife rauchte.
»Ich frage mich nur, ob er schon gut genug fliegen kann für so eine lange Reise«, sagte Vivana. »Er hat es ja gerade erst gelernt.«
»Zum Glück ist er ein Schattenwesen und kein Mensch«, erwiderte Lucien lächelnd.
Sie runzelte fragend die Stirn.
»Wir brauchen nicht lange, um uns mit neuen Fähigkeiten vertraut zu machen«, fuhr der Alb fort. »Ruac hat begriffen, wie man fliegt, und jetzt kann er es. Mehr gibt es da nicht zu lernen.«
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