Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
Freunde aus dem Milieu hatten sich schon des Öfteren über sein »Frauenauto« lustig gemacht und ihn gefragt, warum er sich nicht einen BMW X5 oder Porsche Cayenne zulegen wollte. Aber Jimmy war smart. Er wusste, dass sich eine gewisse Bescheidenheit positiv auf sein Business auswirken würde. Die erlesene Kundschaft aus Grunewald, Charlottenburg und Mitte, die er mit dem weißen Pulver belieferte, wollte nicht, dass ihr Dealer einen größeren Wagen als sie selbst besaß. Er scherte nach links aus und überholte einen Fahrradfahrer, der zu weit in der Mitte auf seiner Spur gefahren war. Fuck! Scheiß Fahrradfahrer . Wie er sie hasste, diese Berliner Radler, die sich einen Dreck um die Verkehrsregeln kümmerten und andauernd über rote Ampeln fuhren. Dass er sich auch nicht korrekt verhielt und meistens die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt, stand für ihn auf einem ganz anderen Blatt. Der Tacho zeigte lässige 75 km/h an, allerdings nötigten die Ampeln und der Verkehr ihn immer wieder dazu, auf die Bremse zu treten.
Jimmy hatte heute guten Grund, aufs Gas zu drücken: Ihm war zugetragen worden, dass die Polizei von einem Kollegen, der ihn aus dem Geschäft verdrängen wollte, einen Tipp gesteckt bekommen hatte. In seiner Wohnung hatte Jimmy kiloweise Kokain, Speed und andere Drogen gebunkert. Dafür würde er für etliche Jahre hinter Gitter wandern, sollte die Polizei alles finden. Die Bullen hatten ihn schon eine ganze Zeit im Visier. Aber bisher hatte er immer frühzeitig »Gegenmaßnahmen« ergriffen und somit verhindert, dass sie ihm den Drogenhandel nachweisen konnten.
Als er an einer roten Ampel stand, lockerte er seine schmale schwarze Krawatte. Sie war von derselben Marke wie sein dunkler Anzug, zu dem sie perfekt passte. Außerdem trug er elegante Handschuhe, die er nur sehr selten ablegte. Leute mit seiner Klientel verstanden ihr Geschäft als Dienstleistung in einem Premiumsegment und mussten daher ein Outfit haben, das den Vorstellungen ihrer Kunden entsprach. Sie hatten nichts gemein mit den jämmerlichen Kleindealern, die in Berliner Parks mehr oder weniger heimlich Drogen verkauften. Jimmy K. betrieb eine intensive Kundenpflege, und er profitierte davon, dass man ihn gerne an andere Interessenten aus dem hochkarätigen Klientenkreis weiterempfahl. Er war bekannt dafür, dass er Designer-Drogen lieferte, die auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse perfekt zugeschnitten waren. Immer erstklassige Qualität liefern und stets zielgruppenorientiert handeln – das war das Geheimnis seines Erfolgs.
Jimmy bog rechts ab, als die Ampel auf Grün schaltete. Gleich würde er zu Hause sein. Dann konnte er den Stoff schnell wegschaffen, bevor die Bullen auftauchten.
Kurz bevor er den Plattenbau erreichte, sah er im Rückspiegel eine Wagenkolonne mit eingeschaltetem Blaulicht, die einige Sekunden später auf der Spur neben ihm vorbeiraste. In den letzten Tagen waren ihm beim Ausliefern seiner Ware des Öfteren derartige Konvois – darunter auch Fahrzeuge des Deutschen Roten Kreuzes – aufgefallen, die in Berlin-Mitte fuhren. Das hatte ihn nicht weiter beschäftigt; schließlich war es in einer Großstadt nichts Außergewöhnliches, Sirenen zu hören. Immer brannte es irgendwo, etwa, weil eine Gasleitung explodiert war, und die zahlreichen Verkehrsunfälle trugen ebenso dazu bei, dass ständig Kranken-, Polizei- und Feuerwehrwagen unterwegs waren.
Seine Gelassenheit war jedoch schlagartig dahin, als er sich seiner Plattenbausiedlung näherte: Der gesamte Konvoi, der ihn vor Kurzem überholt hatte, bog auf den Parkplatz vor dem Gebäude ein, in dem er wohnte.
Während er die Allee entlangfuhr, konnte er zwischen den Bäumen am Straßenrand erkennen, dass sich unter den Fahrzeugen auch drei Polizeiwagen befanden. Waren die etwa seinetwegen gekommen? Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Es war völlig abwegig, dass man wegen eines einzelnen Dealers mit einem solchen Aufgebot anrückte. Dennoch versetzte ihn der Anblick der Polizisten in Alarmbereitschaft: Wer konnte schon sagen, wo ein solcher Großeinsatz hinführen würde? Er musste die Drogen so schnell wie möglich aus seiner Wohnung schaffen.
Anstatt wie üblich auf dem Parkplatz zu halten, bog Jimmy die nächste Straße links ab und fuhr um das Gebäude herum. Auf der Rückseite gab es einen Zugang zu der Heizanlage und den Kellern des Plattenbaus. Er parkte auf der Straße, sprang aus dem Wagen und rannte die Treppe hinunter zu
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