Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
der Metalltür.
Jimmy war ein Mann, der alle Eventualitäten mit einplante. Auch einen Notfall wie diesen. Er war immer davon ausgegangen, dass eines Tages die Polizei vor dem Eingang stehen könnte und er dann nicht mehr die Möglichkeit hätte, an ihnen vorbei nach oben in seine Wohnung zu gelangen. Daher hatte er sich vorausschauend den Schlüssel für den Zugang zu den Kellern des Gebäudekomplexes beim Hausmeister besorgt. Der Mann hatte nicht nach dem Verwendungszweck gefragt, nachdem ihm wortlos ein Bündel Geldscheine zugesteckt worden war. Jimmy steckte nun den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um und stieß die schwere Tür auf, die dabei laut quietschte.
Er blieb kurz stehen, um zu lauschen. Nichts Auffälliges war zu hören. Dann hastete Jimmy los, rannte durch das dunkle Labyrinth, das von der Notbeleuchtung nur unzureichend erhellt wurde. Er gelangte zum Treppenhaus und blieb einen Moment stehen. Den Fahrstuhl konnte er nicht nehmen. Das war zu gefährlich. Seine Wohnung lag allerdings im dreiundzwanzigsten Stock, und es würde ihn eine immense Kraftanstrengung kosten, die vielen Stufen hochzulaufen. Er würde mindestens zehn Minuten brauchen, bis er oben angekommen war. Hoffentlich standen die Bullen dann nicht schon vor seiner Tür! Doch er hatte keine andere Wahl.
Jimmy atmete einmal tief durch, dann fing er an, die Treppen hochzurennen.
20
Es gab ein lautes Knacken, dann lief die Platte wieder normal weiter. Witter hielt inne und zog die Hand zurück, mit der er die Tür zum Wohnzimmer gerade hatte aufstoßen wollen. Plötzlich bekam er Angst. Vielleicht sollte er doch besser wieder zurückgehen? Die Musik wurde immer lauter. Trommeln, Glocken, elektrische Gitarren und die kraftvolle, hohe Stimme verdichteten sich zu einem furiosen Finale. Was hatte er zu verlieren? Sein Leben.
Drauf geschissen, das ist sowieso bald vorbei .
Witter drückte langsam die Tür auf. Die schweren Vorhänge waren bis auf einen kleinen Spalt geschlossenen, durch den etwas Licht ins Zimmer fiel. Ihm stach sofort die antike Kommode an der Wand ins Auge, deren Schubladen alle herausstanden. Auf dem Boden davor lagen überall irgendwelche Sachen verstreut. Sofort dachte er an Einbrecher. Als er eintrat, schlug ihm ein bestialischer Gestank entgegen, der wie eine Mischung aus Kot, Pisse und vergammeltem Fleisch roch. Er musste würgen und hielt sich die Nase zu. Der alte Mann schaute sich um und bemerkte, dass in dem großen Ohrensessel am Fenster – im Schatten des langen Vorhangschals – eine Person saß, deren Arm über die Lehne nach unten baumelte. Im dämmrigen Licht erkannte er eine bleiche Kinderhand!
Die letzten Takte des Liedes erklangen, dann hob sich der Plattenarm und fuhr mit einem surrenden Geräusch zurück in die Ruheposition. Die einsetzende Stille war gespenstisch, irgendwie surreal. Witter ging zum Fenster und riss die Vorhänge zurück. Das Licht von draußen erhellte mit einem Mal den Raum. Er drehte nur ganz langsam den Kopf zur Seite, weil er sich vor dem zu erwartenden Anblick fürchtete.
Kennys leblose Hülle saß in dem Sessel. Die toten Augen des Kindes starrten zur Decke, seine Haut war von grässlichen Blutflecken übersät, und der Körper schien um fast die Hälfte geschrumpft zu sein. Witter wurde auf einmal ganz schwindelig, und er bekam Atemnot. Sein Brustkorb hob und senkte sich so heftig, dass man meinen konnte, er wäre soeben tausend Meter gerannt. Dann ließ die Kraft in seinen Beinen nach, und er sank auf die Knie wie ein Pilger vor der heiligen Mutter Gottes.
Draußen auf dem Gang fiel im gleichen Moment ein lauter Schuss, und jemand begann zu schreien.
21
Die Metalltür zum Flur des zweiundzwanzigsten Stockwerks hatte das Geräusch zwar gedämpft, aber Jimmy K. erkannte sofort, dass der Schuss aus einer halbautomatischen Polizeipistole – wahrscheinlich einer HK P2000 – abgefeuert worden war. Er blieb abrupt stehen und versuchte, sein Keuchen zu unterdrücken. Er befürchtete, dass man es womöglich hören konnte. Doch eigentlich war das ein abwegiger Gedanke, denn das Metall der Tür war viel zu dick, als dass jemand auf der anderen Seite sein Schnaufen mitbekam. Für einen Moment beschlich ihn die Neugier, was da auf dem Gang hinter der Tür passiert war, und er überlegte, ob er nachschauen sollte. Doch dann riss er sich zusammen.
Scheißegal. Kümmer dich nicht drum! Der Stoff muss raus aus der Wohnung!
Er knöpfte sein völlig durchgeschwitztes Hemd auf und
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