Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
Küche trat Paul versehentlich gegen eine Flasche, die auf dem Boden lag, die daraufhin recht laut gegen den Küchenschrank knallte. Aus dem Wohnzimmer hörte er Gabriela rufen: »Alles in Ordnung?«
»Ja, alles in Ordnung!«, entgegnete er und setzte Wasser für den Tee auf. Im Schrank fand er sogar eine Schachtel Kekse, deren Haltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen war. Er legte das Gebäck auf einen kleinen Teller und stellte es schließlich zusammen mit dem Porzellan und fertigen Tee auf ein Tablett.
Als er ins Wohnzimmer zurückkam, stand Gabriela vor dem Bücherregal und betrachtete die gerahmte Fotografie einer jungen Frau. Ihrem Aussehen nach musste die Aufnahme in den Achtzigerjahren entstanden sein; die voluminösen, auftoupierten Haare und die grelle Art, sich zu schminken, waren charakteristisch für jene Zeit gewesen.
»Das ist Diane, meine langjährige Beziehung«, erklärte Paul und stellte das Tablett auf den kleinen, quadratförmigen Designer-Glastisch vor der Couch. Es handelte sich um ein letztes Überbleibsel aus seinen Tagen in der Werbebranche, als er noch eine Menge Geld verdient und seine damalige Wohnung in Berlin-Mitte mit teuren Möbeln ausgestattet hatte. Nach seinem Rausschmiss hatte er seinen luxuriösen Hausstand fast komplett verkauft und während einer daran anschließenden, intensiven Nachtleben-Phase das gesamte Geld in Alkohol und Drogen investiert. Zumindest von den Drogen war er inzwischen abgekommen … »Sie starb bei einem Autounfall.«
»Das tut mir leid«, sagte Gabriela mitfühlend.
»Das ist jetzt fast schon zwanzig Jahre her«, entgegnete Paul und reichte ihr eine Tasse Tee.
Sie setzten sich steif nebeneinander, und ohne ein weiteres Wort zu wechseln, tranken sie die südafrikanische Roibusch-Mischung. Als sie fast ausgetrunken hatten, drehte Paul kurz den Kopf zu ihr hin. Ihm fielen ihre kleinen Ohren auf, hinter die sie ihr Haar gestrichen hatte. Für einen Moment überfiel ihn eine gewisse Wehmut. Seit dem Tod von Diane hatte er keine ernsthafte Beziehung mehr geführt. Ja, es hatte natürlich Affären und kurzfristige, oberflächliche Beziehungen gegeben, insbesondere während seiner Zeit in der Werbebranche. Aber seit dem Tod von Diane hatte er keine andere Frau mehr wirklich an sich herangelassen. Wenn es tatsächlich nur eine einzige echte Liebe im Leben eines Menschen gab, dann war Diane die seine gewesen. Konnte Gabriela ihren Platz einnehmen?
Gabriela stellte die Tasse auf den Tisch. »Dann werde ich jetzt wieder gehen«, sagte sie, griff nach Tasche und Mütze und erhob sich.
Paul sah, dass sie bemerkte, wie die Tasse in seiner Hand zitterte. Er versuchte, sich zu beherrschen. Schließlich wollte er nicht, dass sie seine Aufregung mitbekam oder womöglich sein Zittern für das eines Alkoholikers hielt. »Ich bring dich noch zur Tür«, sagte er und redete sie dabei unbewusst mit Du an.
Die beiden gingen in die Diele. Kurz bevor Gabriela die Wohnung verließ, nahm er allen Mut zusammen. »Ich würde dich gerne wiedersehen. Gibst du mir deine Nummer?«
Gabriela dachte kurz nach. Dann antwortete sie: »Ja, klar. Ich steck sie dir in den Briefkasten.« Dann ging sie, ohne sich noch einmal umzudrehen.
»Mist – ich hab’s verbockt!«, fluchte Paul vor sich hin. Er war sich sicher, dass sie ihre Nummer nicht im Briefkasten hinterlassen würde.
Als er kurze Zeit später dennoch hinunterging, um nachzuschauen, fand er zu seiner Verwunderung neben einem Werbeflyer für Entrümpelungen eine leere Benachrichtigungskarte der Post, auf die eine Telefonnummer gekritzelt war.
18
BERLIN-MITTE, PLATTENBAUSIEDLUNG,
28. NOVEMBER
Seit dem Vorfall auf dem Dach war Kenny wie vom Erdboden verschluckt. Er war nirgends mehr aufgetaucht, und auch den Rest seiner Familie bekamen Naomi und Witter nicht zu Gesicht.
Die beiden hatten an der Wohnungstür der Familie geklingelt, um den Plastiksack mit dem toten Paco zu übergeben, aber ihnen war nicht geöffnet worden. Witter hatte daraufhin die Erdbeeren, Eiswürfel und Fertiggerichte aus dem Eisfach seines Kühlschranks geholt und statt ihrer den toten Hund hineingepackt, damit der Verwesungsprozess nicht einsetzte.
Auch das Gesundheitsamt hatte Witter in der Früh angerufen. Die Dame am anderen Ende der Leitung klang müde, als sie die Meldung aufnahm und dabei vor sich hinmurmelte, dass direkt nach dem Blutbad im Zoo unzählige Leute bei ihnen Infektionen mit dem unbekannten Virus gemeldet hatten, was sich aber in allen
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