Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
in sandfarbenes Papier eingewickeltes, längliches Paket, das fest verschnürt war. Er löste die Knoten und packte es aus. Eine Schatulle aus Ebenholz kam zum Vorschein. Er öffnete sie. Darin lag eine Spritze, die auf königsblauem Samt gebetet war. Vorsichtig nahm er sie in die Hand, hielt sie sich vor die Augen und betrachtete die durchsichtige Flüssigkeit genauer. Die Strafe Gottes , dachte er. Er krempelte sein weißes Hemd hoch und rammte sich die Injektionsnadel ohne langes Überlegen in den Oberarm. Dann legte er sich aufs Bett und starrte hoch zur Decke, wo der Propeller eines Ventilators sich drehte und ihm kühle Luft zufächerte.
Leise sprach er den Bibelvers aus Josua 1,9 vor sich hin: »Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.« Und selbst jetzt, wo ihn der sichere Tod erwartete, hatte er, der Mann Gottes, Zuversicht in den Herrn. Er musste nur noch eine Weile warten, bis sich das Virus in seinem Körper millionenfach vermehrt hatte und er hochinfektiös war. Die Stimme des Herrn hatte ihn, den Auserwählten, der sein ganzes Leben in den Dienst von Jesus Christus gestellt hatte, hierhergeführt, damit er einen letzten Auftrag ausführte, bevor Gott ihn zu sich in sein Reich holen würde.
Chad Jackson lag noch einige Stunden einfach so auf dem Bett und lauschte auf das Surren des Ventilators, der kaum für Abkühlung sorgte und die feuchtwarme Luft eigentlich nur umherschaufelte. Das Hemd klebte nass auf seiner Brust, aber das störte ihn nicht, ebenso wenig wie die Moskitos, die sich auf seiner Haut niederließen und sein Blut aussaugten. In Gedanken war er bei seiner Frau, seinem Sohn und seinen zwei Töchtern und bei der Gemeinde, die ihm so viel Hochachtung entgegenbrachte.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine Lippen. Es war das Lächeln eines Mannes, der mit reinem Gewissen vor den Altar Gottes treten konnte. Er hatte ein gottesfürchtiges Leben geführt, nach den Geboten der Bibel, und leidenschaftlich gegen die moderne Sexualmoral, gegen die Homosexuellen und gegen Schwangerschaftsabbrüche gekämpft. Und er war ein entschiedener Verfechter der Todesstrafe. Seine Frau und seine Kinder würden seine Tat verstehen – so wie sie immer alles verstanden hatten, was er ihnen und der Gemeinde gepredigt hatte. Auch die Lehre vom Blutopfer, nach der schwere Sünden nur durch den Tod des Sünders gesühnt werden konnten.
Kurz vor Mitternacht stand Chad vom Bett auf. Er zog sich ein frisches weißes Hemd, die dunkle Hose und die Lederschuhe an, band sich die Krawatte um und warf sich das Jackett über. Genau diese Kleidung trug er jedes Mal, wenn er sonntags seine Predigten hielt.
Er verließ das Hotel. Kaum war er zur Tür hinaus, hielt ein Tuk-Tuk neben ihm an, und er setzte sich hinein. Dem Fahrer nannte er als Ziel das Love Teen Massage.
Der Mann setzte ein breites Grinsen auf und sagte: »Ah, good lady«; anscheinend kannte er dieses Etablissement. Das schien ihn aber nicht davon abzuschrecken, eine abgegriffene Plastikkarte eines anderen Massagesalons hervorzuziehen, auf der neben Bildern von nackten jungen Frauen auch Preise für die jeweilige sexuelle Dienstleitung in englischer Sprache gedruckt waren. Er hielt sie dem Prediger enthusiastisch vor die Nase. Doch Jackson winkte ab, woraufhin der Fahrer sich in den nächtlichen Verkehr von Bangkok einreihte.
Bangkok bei Nacht war wie ein Drogentrip, der einem den Verstand verwirrte und schwindelig machte: die funkelnden Lichter, die laute Musik aus den Nachtclubs und von den bunt beleuchteten Ausflugsdampfern auf dem Fluss, die unzähligen Märkte mit den Essensständen und ihren exotischen Gerüchen. Überall pulsierte das Vergnügen. Auf Jackson, der ein beschauliches Leben auf dem Land gewohnt war, wirkte das wie die Hölle auf Erden. Für den Prediger war diese Stadt ein einziger Sündenpfuhl, aber auch er konnte nicht abstreiten, dass ihn das nicht kaltließ. Er umfasste das Kreuz, das an der Kette um seinen Hals hing, und murmelte etwas vor sich hin, so als bitte er Gott darum, nicht der Versuchung zu erliegen und standhaft zu bleiben.
Das Tuk-Tuk fuhr in eine Seitenstraße des Rotlichtviertels und hielt vor dem Massagehaus an. Chad zahlte und musste den Fahrer noch zwei Mal mit »No, thank you« abwehren, der ihn dazu überreden wollte, ihn danach noch zu einem anderen Puff zu fahren.
Das
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