Pandaglueck
Ich stehe auf und laufe in meiner Küche auf und ab. Kurzzeitig spiele ich mit dem Geistesblitz, mir Mut anzutrinken. Das einzige Problem ist, dass ich nur einen billigen Rotwein da habe, von dem ich immer unglaublich viel auf das Klo gehen muss. Meinem Körper scheint der Wein einfach zu billig zu sein, als dass er den lange in sich behalten will. Das ist irgendwie auch verständlich.
Noch eine Minute.
Nun bleibe ich stehen und verfolge den Sekundenzeiger. Als er wieder bei der Zwölf angekommen ist und es nun Punkt 20.00 Uhr schlägt, halte ich den Atem an. Nach 30 Sekunden zwingt mich mein Körper für erneute Sauerstoffzufuhr und ich atme heftig ein. Es hat nicht geklingelt und er ist nicht gekommen. Ich sacke enttäuscht auf dem Küchenstuhl zusammen und betrachte meine frisch manikürten Fingernägel. So viel zu dem Aufstand, den ich heute den ganzen Tag betrieben habe. Ich will gerade nach meinem Kulturbeutel greifen, in dem sich mein Nagellackentferner befindet, um mir den Lack wieder zu entfernen, als es klingelt.
Sofort schlä gt mein Herz mir bis zum Hals. Mein Magen macht wahre Freudensprünge. Ich kann es nicht fassen! Er ist tatsächlich gekommen! Die komplette Anspannung der letzten Stunden weicht mit einem Mal aus meinem gesamten Körper. Ich fühle praktisch, wie sich mein Kopf und vor allem mein Herz sich endlich entspannen.
Ich stehe hektisch auf und glä tte meinen Rock. Vor dem großen Spiegel im Flur betrachte ich mich ein letztes Mal von oben bis unten. Meine Haare sehen einigermaßen gebändigt aus und meine Schuhwahl passt meines Erachtens zum restlichen Outfit. Ich habe mir flache, weiße Sandalen angezogen. Miriam würde mich dafür umbringen und meinen Modegeschmack in Frage stellen. Für sie sind High Heels die ultimative Waffe, denn sie machen einen knackigen Po und lange Beine. Mir verpassen sie höchstens einen Gips und eine Halskrause. Daher verzichte ich dankend auf die risikobehafteten Schuhe. Nachdem ich mit meinem Spiegelbild zufrieden bin, nehme ich den Hörer der Sprechanlage ab und sage: „Ja? Hallo?“ Erst als ich die Worte ausgesprochen habe, fällt mir auf, dass es wohl nicht die angebrachtesten sind. Selbige benutze ich immer für den Pizzalieferdienst. Es dauert einen Moment, bis sich jemand meldet.
„ Hey Lara! Ich bin’s Maurice. Kannst du mir aufmachen? Habe meinen Schlüssel wieder einmal vergessen.“
„ Ja klar“, sagte ich enttäuscht und muss mich zusammenreißen, nicht direkt loszuheulen. Ich bin ein emotionales Wrack. Erst die extreme Anspannung der letzten Stunden. Dann die Erleichterung und Freude für zwei Minuten und jetzt die traurige Gewissheit! Es ist bloß mein Nachbar Maurice, der nicht in das Haus kommt. Da er ständig seinen Schlüssel vergisst, hatte er auf meinen Rat hin einen Ersatzschlüssel unter seiner Fußmatte verstaut. Das hilft ihm reichlich wenig dabei, die Schwelle der Haustür zu überschreiten. Ich stehe immer noch vor der Tür und drücke den Knopf, der die Haustür öffnet, als Maurice längst im Treppenhaus an meiner Tür vorbei gelaufen ist. Ich bin versetzt worden!
Ich bin wieder auf einen Kerl hereingefallen! Es ist so klar gewesen, dass Alex nicht ernsthaft mit mir essen gehen wollte und ich habe mich den ganzen Tag zum Affen gemacht. Absolut zum Affen! Ich will gar nicht darüber nachdenken, wie viele Nerven mich der heutige Tag gekostet hat. Ich schätze die Verluste auf eine Zahl im Zehnstellligenbereich. Eigentlich dürfte mich sein Fernbleiben nicht überraschen. Das hätte ich mir vorher zusammenreimen können.
Eigene Doofheit … Wie kann ich davon ausgehen, dass so ein Mann mit mir gesehen werden will? Ich spüre, wie langsam die Tränen in meine Augen schießen. Ich besitze jedoch nicht genug Motivation zum Weinen. Ich habe keine Lust mehr überhaupt irgendetwas zu fühlen. Ich nehme endlich den Finger von dem Knopf für die Haustür und atme erst einmal tief durch.
Pandas! Denk an die Pandas! Jeder, dem es schlecht geht, sollte sich ein paar Pandabärenfotos anschauen. Sobald die knuffigen Tiere einen ansehen, muss man einfach eine kleine Woge des Glücks spüren. Wer sich Pandabären angucken kann, ohne dass sein Herz nur einen winzigen Satz macht, ist unumstößlich zu keinen ordentlichen Emotionen fähig.
Unsanft werde ich aus meinen Pandagedanken gerissen, da es auf einmal an meiner Tü r klopft. Ich zucke so sehr zusammen, dass ich fast rückwärts stolpere. Ich öffne die Tür und erwarte meinen
Weitere Kostenlose Bücher