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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Ravens Spruch. Mein Hals wird trocken. So sehr unterscheide ich mich nicht von den Menschen da unter der Erde.
    »Seid vorsichtig«, sagt der Rattenmann und seine Augen werden wieder blicklos. »Sie beobachten euch.«
    Dann verschwindet er in dem Loch und die Eisenplatte gleitet an ihren Platz.
    Einen Moment stehen Julian und ich schweigend da und sehen uns an.
    »Wir haben’s geschafft«, sagt Julian schließlich und lächelt mich an. Er steht etwas weiter weg auf dem Bahnsteig und die Sonne überzieht seine Haare mit weißen und goldenen Streifen. Ein Vogel saust hinter ihm durch die Lüfte, ein schneller Schatten vor dem blauen Himmel. Zwischen den Rissen im Bahnsteig drängen kleine weiße Blumen hervor.
    Plötzlich merke ich, dass ich weine. Ich schluchze voller Dankbarkeit und Erleichterung. Wir sind endlich wieder draußen und die Sonne scheint immer noch, die Welt existiert weiterhin.
    »Hey.« Julian kommt zu mir. Er zögert einen Augenblick, dann streckt er den Arm aus und streicht mir über den Rücken, bewegt seine Hand in kleinen Kreisen. »Hey, schon gut. Schon gut, Lena.«
    Ich schüttele den Kopf. Ich will ihm sagen, dass ich das weiß und dass ich genau deswegen weine, aber ich kann nicht sprechen. Er zieht mich an sich und ich weine in sein T-Shirt, und so stehen wir da, in der Sonne, in der Welt hier draußen, wo diese Dinge illegal sind. Und überall um uns herum herrscht Stille, abgesehen von gelegentlichem Vogelgezwitscher und dem Flattern der Tauben auf dem leeren Bahnsteig.
    Schließlich löse ich mich von ihm. Einen Augenblick meine ich eine Bewegung hinter ihm wahrzunehmen, im Schatten hinter einem der alten Treppenhäuser, aber dann bin ich mir sicher, dass ich es mir nur eingebildet habe. Das Licht ist grell. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich aussehe. Obwohl die Leute unter der Erde Julians Wunden versorgt haben, ist sein Gesicht immer noch von Blutergüssen übersät, ein mehrfarbiges Patchworkmuster. Ich sehe bestimmt genauso schlimm aus, wenn nicht noch schlimmer.
    Unter der Erde waren wir Verbündete, Freunde. Aber ich bin mir nicht sicher, was wir jetzt über der Erde sind, und mir ist unbehaglich zu Mute.
    Zum Glück durchbricht er das angespannte Schweigen. »Du weißt also, wo wir sind?«, fragt er.
    Ich nicke. »Ich weiß, wo wir Hilfe herkriegen können – von meinen Leuten.«
    Er zuckt nicht zusammen, was ich ihm hoch anrechne. »Dann lass uns gehen«, sagt er.
    Er folgt mir nach unten auf die Schienen. Wir scheuchen die Tauben auf und sie flattern um uns herum, ein gefiederter Orkan. Wir bahnen uns einen Weg über die Gleise und in das vertrocknete hohe Gras dahinter. Der Boden ist hart und von Eis überzogen, obwohl sich auch hier der Frühling bereits bemerkbar macht: kleine, eingerollte grüne Knospen, ein paar frühe Blumen hier und da.
    Die Sonne scheint warm auf unseren Nacken, aber der Wind ist eisig. Ich wünschte, ich hätte etwas Wärmeres zum Anziehen als mein Shirt. Die Kälte greift durch die Baumwolle, packt mich im Innersten.
    Schließlich wird die Umgebung vertrauter. Die Sonne erzeugt deutliche Schatten auf dem Boden – zersplitterte Umrisse alter ausgebombter Gebäude. Wir kommen an einem alten, umgeknickten Straßenschild vorbei, das früher mal den Weg zur Columbia Avenue wies. Doch die besteht jetzt aus nichts weiter als zerbrochenen Betonplatten, gefrorenem Gras und einem Teppich aus winzigen Glassplittern, die zu spiegelndem Staub zerschmettert sind.
    »Hier ist es«, sage ich, »gleich da drüben.« Ich fange an zu rennen. Der Eingang zum Stützpunkt ist keine zwanzig Meter entfernt, hinter einer Straßenbiegung.
    Und doch durchfährt mich noch ein anderes Gefühl: ein leiser Alarm. Passend. Das ist das Wort, das mir immer wieder durch den Kopf geht. Wie passend, dass wir so nah an dem Stützpunkt rausgekommen sind. Wie passend, dass uns die Tunnel ausgerechnet hierher geführt haben. Zu passend, um Zufall zu sein.
    Ich schiebe den Gedanken beiseite.
    Wir biegen um die Ecke und da ist er. All meine Sorgen werden von einer Welle der Freude hinweggespült. Julian bleibt stehen, aber ich gehe direkt zur Tür, beflügelt, voller Energie. Die meisten Stützpunkte – zumindest die, die ich kenne – sind aus Verstecken gebaut worden: aus Untergeschossen, Kellern, Bunkern und Tresorräumen, die während der Offensive unversehrt geblieben sind. Wir haben sie bevölkert wie Insekten, die das Land zurückerobern.
    Aber dieser Stützpunkt wurde neu

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