Pandemonium
immer noch ans Fußende meines Bettes gequetscht daliegt, und schleudere ihn auf einen der Aufseher, aber da sind noch drei weitere, die mich in dem schmalen Raum zwischen den Betten umringen, und es ist hoffnungslos. Mir fällt die Pistole ein, aber die liegt immer noch im Bad. Jemand zerrt mich am Kragen und ich schnappe nach Luft. Ein Aufseher dreht mir die Arme auf den Rücken und legt mir Handschellen an, dann stößt er mich vorwärts, aus der Zuflucht hinaus in das helle, strahlende Sonnenlicht, wo weitere Polizisten versammelt sind, weitere Angehörige des SEK mit Gewehren und Gasmasken – starr, schweigend, abwartend.
Eine Falle. Das sind die Worte, die mir durch den Kopf gehen, die Panik durchbohren. Sie haben uns in eine Falle gelockt.
»Ham sie«, verkündet jemand in ein Walkie-Talkie, und plötzlich erwacht alles um mich herum. Leute rufen sich etwas zu, gestikulieren. Zwei Polizisten lassen ihre Motorräder aufheulen und der Gestank nach Abgasen ist überall. Walkie-Talkies knistern, ein vielstimmiger Missklang.
»Zehn-vier, zehn-vier. Wir ham sie.«
»Dreißig Kilometer außerhalb des kontrollierten Gebiets … eine Art Versteck.«
»Einheit fünf null acht an Zentrale …«
Hinter mir taucht Julian auf, von vier Aufsehern umringt; er ist ebenfalls mit Handschellen gefesselt.
»Lena! Lena!« Ich höre, wie er meinen Namen ruft, und versuche ihm zu antworten, werde jedoch von dem Aufseher hinter mir vorwärtsgestoßen.
»Weitergehen«, sagt er und ich bin überrascht, eine Frauenstimme zu hören, von der Gasmaske verzerrt.
Eine ganze Reihe Fahrzeuge parken hintereinander auf der Straße, über die Julian und ich gekommen sind, und hier stehen auch noch weitere Polizisten und Angehörige des SEK. Einige von ihnen sind in voller Montur, andere in Zivil, sie unterhalten sich locker an ihre Autos gelehnt und pusten in ihre Styroporbecher mit Kaffee. Sie würdigen mich kaum eines Blickes, als ich widerstrebend an den Autos vorbei abgeführt werde. Ich brenne vor Wut, bin so voller Zorn, dass ich beinahe schäume. Für sie ist das Routine. Nach der Arbeit werden sie in ihre ordentlichen Häuser zu ihren ordentlichen Familien zurückkehren und keinen Gedanken an das Mädchen verschwenden, das vor ihren Augen schreiend und um sich tretend weggezerrt wurde, wahrscheinlich dem Tod entgegen.
Ich sehe eine schwarze Limousine; Thomas Finemans weißes, schmales Gesicht betrachtet mich unbewegt. Wenn ich eine Faust losbekäme, würde ich die Scheibe einschlagen. Ich würde zusehen, wie ihm die Glassplitter ins Gesicht spritzen. Mal sehen, wie ruhig er dann noch wäre.
»Hey, hey, hey!« Ein Polizist winkt uns von weiter vorne zu und zeigt mit seinem Walkie-Talkie auf einen Polizeibus. Die schwarze Aufschrift ist auf dem leuchtend weißen Untergrund deutlich lesbar: STADT NEW YORK, AMT FÜR SÄUBERUNG, REFORM UND GESUNDUNG. In Portland gab es nur ein Gefängnis, die Grüfte. Dorthin kamen alle Kriminellen und Widerständler, dazu all diejenigen, die bei misslungenen oder verfrühten Eingriffen wahnsinnig geworden waren. In New York und seinen Partnerstädten gibt es eine ganze Reihe Gefängnisse, ein richtiges Netzwerk. Sein Name ist genauso schlimm wie der, mit dem das Gefängnis in Portland bezeichnet wird: die Särge.
»Hier rüber, los, los!« Jetzt dirigiert uns ein weiterer Polizist zu einem anderen Bus und es herrscht eine kurze Pause. Die ganze Szenerie ist konfus, chaotischer als die Razzien, die ich bisher miterlebt habe. Hier sind viel zu viele Leute. Zu viele Autos, die die Luft mit Abgasen verpesten, zu viele Funkgeräte, die gleichzeitig summen, Leute, die gleichzeitig reden. Ein Aufseher und ein Mitglied des SEK streiten über Zuständigkeiten.
Mein Kopf schmerzt; die Sonne brennt mir in den Augen. Ich sehe nichts weiter als glitzernden, strahlenden Sonnenschein; einen metallenen Strom aus Autos und Motorrädern; Abgase, die die Luft mit Nebel erfüllen.
Plötzlich steigt Panik in mir auf. Ich weiß nicht, was mit Julian ist. Er ist nicht mehr hinter mir und ich kann ihn nirgends entdecken. »Julian!«, rufe ich und bekomme keine Antwort, obwohl sich ein Polizist zu mir umdreht und dann kopfschüttelnd braunen Rotz neben meinen Füßen auf den Boden spuckt. Ich wehre mich wieder gegen die Frau, die mich führt, versuche mich aus ihrer Umklammerung zu befreien, aber ihre Hände sind wie ein Schraubstock um meine Handgelenke, und je stärker ich mich wehre, desto fester hält sie
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