Pandemonium
zwei Gestalten aus einem Wachhäuschen auf. Von hinten angestrahlt, sind sie nichts weiter als scharf gestochene Schatten mit den schwarzen Umrissen von Gewehren. Ich bin zu weit weg, um zu verstehen, was sie sagen, aber ich nehme an, sie überprüfen die Papiere des Fahrers. Einer der Wachmänner umkreist den Lastwagen und untersucht ihn. Er öffnet allerdings nicht den Laderaum, um ins Innere zu sehen. Nachlässig. Nachlässigkeit ist gut.
Während der nächsten paar Stunden beobachte ich, wie fünf weitere Lastwagen die Grenze passieren. Der Ablauf ist jedes Mal derselbe, ein Lastwagen mit der Aufschrift EXXON wird allerdings geöffnet und gründlich durchsucht. Während ich warte, schmiede ich einen Plan. Ich krieche dicht am Boden näher an die Grenze heran, bewege mich nur vorwärts, wenn der Highway leer ist und der Mond sich hinter einer der schweren, geballten Wolken am Himmel verkrochen hat. Als ich nur noch gut zehn Meter von der Mauer entfernt bin, halte ich erneut inne. Ich bin so nah, dass ich einzelne Züge der Wachen – beides Männer – ausmachen kann, wenn sie immer wieder aus dem Wachhäuschen kommen, um die Lastwagen zu inspizieren. Ich kann jetzt auch Gesprächsfetzen hören: Sie fragen nach dem Personalausweis, sie überprüfen den Führerschein und die Zulassung. Der Vorgang dauert nicht länger als drei oder vier Minuten. Ich werde mich beeilen müssen.
Ich hätte mir etwas Wärmeres als eine Windjacke anziehen sollen. Aber wenigstens hält mich die Kälte wach.
Als sich mir eine Gelegenheit bietet, geht die Sonne bereits hinter einer dünnen Decke aus flauschigen dunklen Wolken auf. Die Flutlichtstrahler sind immer noch an, aber ihre Kraft ist im trüben Dämmerlicht gemindert und sie blenden längst nicht mehr so stark.
Ein Müllauto mit einer Leiter, die auf einer Seite auf das Metalldach hinaufführt, kommt mit einem Ruck vor dem Tor zum Stehen. Ich hocke mich hin und schließe die Finger um den Stein, den ich vorhin im Graben ausgesucht habe. Ich muss die Finger ein paarmal beugen und strecken, meine Gliedmaßen sind steif und schmerzen vor Kälte.
Ein Wachmann umkreist mit angelegtem Gewehr das Fahrzeug, um es zu untersuchen. Der andere steht auf der Fahrerseite am Fenster, pustet sich auf die Hände und stellt die üblichen Fragen. Wo kommen Sie her? Wo wollen Sie hin?
Ich stehe auf, den Stein in meiner rechten Hand, und schlängele mich schnell zwischen den Bäumen hindurch, wobei ich sorgfältig darauf bedacht bin, nur dahin zu treten, wo die Blätter schon zu nassem Mulch geworden sind – der meine Schritte wunderbar dämpft. Mein Herz klopft so heftig, dass ich kaum Luft bekomme. Die Wachen sind nur gut fünf Meter rechts von mir, vielleicht noch nicht mal. Ich habe nur eine Chance.
Als ich der Mauer nah genug bin, um mir meines Ziels sicher zu sein, hole ich aus und schleudere den Stein gegen einen der Strahler. Beim Aufprall ertönt ein kleiner Knall und das Geräusch fallender Glasscherben. Augenblicklich ziehe ich mich in den Schatten der Bäume zurück, und beide Wachen wirbeln herum.
»Was zum Teufel war das?«, sagt einer von ihnen und läuft mit geschultertem Gewehr auf den kaputten Strahler zu. Ich bete, dass ihm der Zweite folgen möge. Der zögert, wechselt das Gewehr von der linken in die rechte Hand. Er spuckt aus.
Los, los, los.
»Warten Sie hier«, sagt er zu dem Fahrer und dann entfernt er sich ebenfalls von dem Müllauto.
Das ist es: Das ist meine Chance, während die Wachmänner abgelenkt sind und die zerschmetterte Lampe zehn Meter die Mauer hinab begutachten. Ich muss mich dem Lastwagen schräg nähern, von der Beifahrerseite her, daher bücke ich mich und versuche mich so klein wie möglich zu machen. Ich kann es nicht riskieren, dass der Fahrer mich im Außenspiegel entdeckt. Zwanzig fürchterliche Sekunden lang bin ich vollkommen ungeschützt auf der Straße, weit weg von den Bäumen und den knorrigen braunen Sträuchern, und in diesem Augenblick fällt mir wieder ein, wie Alex mich das erste Mal mit in die Wildnis genommen hat – was ich für eine Angst hatte, als ich über den Zaun geklettert bin, wie ungeschützt ich mich gefühlt habe, entsetzlich ausgeliefert.
Drei Meter, zwei Meter, ein Meter. Und dann ziehe ich mich die Leiter hoch, das eisige Metall brennt mir an den Fingern. Ich erreiche das Dach und presse mich bäuchlings ganz flach auf eine Schicht aus Vogeldreck und Rost. Sogar das Metall stinkt übelkeiterregend nach
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