Pandemonium
vergammeltem Müll, ein süßlicher Geruch, der über Jahre in das Material eingedrungen sein muss. Ich drücke mein Gesicht in den Ärmel meiner Windjacke, um nicht zu husten. Das Dach ist leicht nach innen gewölbt und von einer fünf Zentimeter dicken Metallstange umgeben, so dass ich wenigstens nicht abrutschen werde, wenn sich der Lastwagen in Bewegung setzt. Das hoffe ich zumindest.
»He!«, ruft der Fahrer den Wachen zu. »Können Sie mich jetzt durchlassen oder was? Ich muss meine Termine einhalten.«
Er bekommt nicht sofort eine Antwort. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bevor ich Schritte zum Lastwagen zurückkehren höre und einen der Wachmänner, der sagt: »Alles klar, Sie können fahren.«
Das Eisentor schwingt mit einem Klirren auf und der Lastwagen fährt los. Ich rutsche übers Dach, als der Lastwagen schneller wird, aber es gelingt mir, mich mit Händen und Füßen gegen die Metallstangen zu stemmen; von oben muss ich aussehen wie ein riesiger Seestern, der sich am Dach festgesaugt hat. Der Wind peitscht über mich hinweg und brennt mir in den Augen: eine beißende Kälte, die die Gerüche des Hudson mit sich trägt, der ganz in der Nähe sein muss. Links von uns, direkt hinter dem Highway, liegt die Stadt: Plakatwände, kaputte Straßenlaternen und hässliche Wohnblocks mit purpur-grauen blutunterlaufenen Gesichtern, die sich dem Horizont zuwenden.
Der Lastwagen rumpelt den Highway entlang und ich halte mich mit aller Kraft fest, damit ich nicht hinuntergeschleudert werde. Die Kälte ist eine Qual, tausend Nadeln in meinem Gesicht und auf meinen Händen, und ich muss die Augen zukneifen, weil sie so stark tränen. Der Tag bricht dunkel und langsam an, doch der erste rote Schein am Horizont verglüht und verbrennt schnell, wird von den wolligen Wolken aufgesaugt. Es fängt an zu nieseln. Jeder Regentropfen ist ein scharfer Glassplitter auf meiner Haut und das Lastwagendach wird glatt und rutschig.
Zum Glück werden wir bald langsamer und verlassen holpernd den Highway. Es ist noch sehr früh und die meisten Straßen sind still. Wir fahren durch die engen Schluchten zwischen hoch aufragenden Wänden aus Stein und Stahl. Die Wohnblocks sind riesige Finger, die in den Himmel zeigen. Essensgerüche dringen durch offene Fenster auf die Straße heraus, Benzin und Holzfeuer – die Nähe von Millionen und Abermillionen Menschen.
Hier ist meine Haltestelle.
Sobald der Lastwagen an einer Ampel langsamer wird, klettere ich die Leiter hinunter – vorher suche ich die Straße ab, um sicherzugehen, dass mich niemand beobachtet – und springe sanft auf den Bürgersteig. Das Müllauto setzt seine Fahrt fort, während ich mit den Füßen stampfe, um meine Zehen wiederzubeleben, und warmen Atem auf meine Finger puste. 77. Straße. Julian hat gesagt, er wohnt in der Charles Street, das ist im Zentrum. Es muss kurz vor sieben sein – vielleicht etwas später, da die dicke Wolkendecke es schwierig macht, die Zeit genau zu bestimmen. So wie ich aussehe – tropfnass und schlammbedeckt –, kann ich kaum einfach in einen Bus einsteigen.
Ich gehe zurück zum West Side Highway und auf den Fußweg, der von Norden nach Süden durch den lang gestreckten, gepflegten Park am Hudson führt. Hier wird es leichter sein, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Niemand wird an einem regnerischen Tag so früh morgens hier entlangspazieren. Inzwischen brennt mir die Erschöpfung hinter der Stirn und meine Füße fühlen sich bleiern an. Jeder Schritt ist eine Qual.
Aber jeder Schritt bringt mich Julian näher und dem Mädchen, das ich zu werden versprochen habe.
Ich habe schon mal Bilder vom Haus der Finemans in den Nachrichten gesehen, und sobald ich das Gewirr der engen Straßen im West Village erreiche – so ganz anders als das ordentliche Gitternetz, das das übrige Manhattan auszeichnet, und in gewisser Weise eine überraschende Wahl für Thomas Fineman –, dauert es nicht lange, bis ich es gefunden habe. Es regnet immer noch, die Feuchtigkeit quietscht in meinen Turnschuhen. Das Stadthaus der Finemans ist nicht zu verfehlen: Es ist das größte Haus in der Straße und das einzige, das von einer hohen Steinmauer umgeben ist. Ein eisernes Tor, mit vertrocknetem Efeu behängt, gibt teilweise einen Blick auf den Weg und einen kleinen braunen Garten frei, der hauptsächlich aus aufgewühltem Matsch besteht. Ich gehe einmal die Straße entlang, um zu sehen, ob ich irgendwelche Anzeichen von Aktivität im Haus
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